Gas Überlegungen

Viel Zeit und Energie wird derzeit diesem flüchtigen Grundstoff gewidmet. Für die Klimaschützer ist es ein fossiler Brennstoff und daher des Teufels. Für viele Menschen bedeutet es Wärme in ihren Wohnstätten, allerdings wird das Vergnügen durch trübe Aussichten eingeschränkt: Der Preis für Gas steigt unaufhörlich. Europa, besser gesagt die EU, ist mehr vom Gas abhängig als ihr lieb ist. Dabei betont sie in ihren ehrgeizigen Resolutionen, dass sie sich in absehbarer Zeit vom Gas unabhängig machen möchte und setzt dafür Billionensummen an Euro ein; auf dem Papier zumindest, denn die Pläne sind derzeit noch ein gut gehütetes Geheimnis der Brüsseler Bürokratie. Am anderen Ende sind Regionen, die über reichliche Gasvorkommen verfügen; die meisten liegen im Osten oder Südosten von Europa, beispielsweise im fernen russischen Sibirien. Die EU braucht Gas, dringender als je zuvor. Russland verfügt über dieses Gas und hat sogar eine neue, moderne Gas-Pipe-line vor der Haustüre der EU fertiggestellt. Was macht die EU? Sie will dem Lieferanten vorschreiben, was er alles bei seiner Lieferung zu berücksichtigen hat und das ist eine ganze Menge und hat mit dem im Prinzip einfachen Geschäft nur wenig zu tun. Der Lieferant, also Russland, war bisher zuverläßig und hat sich an die Vereinbarungen gehalten. Wäre es ein Wunder, wenn sich der Lieferant um eine andere Kundschaft umsieht? Und diese Kundschaft gibt es und sie ist der härteste Konkurrent der EU auf dem Gebiet des ökonomischen, technischen und IT-Wettbewerbes.

Die EU ist gegenwärtig dabei, neue Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise vorzubereiten. Sie kann sicher sein, dass die russische Seite ebenfalls dabei ist, Gegenmaßnahmen vorzubereiten. Es scheint überhaupt so zu sein, dass die EU-Institutionen sich hauptsächlich darauf spezialisieren, Sanktionen zu verhängen, aus denen sie dann nicht mehr herauskommen. Dass sie dabei hauptsächlich US-amerikanischen Empfehlungen und Vorgaben folgen, zeigt nur, dass sich die EU in einer schiefen Abhängigkeit von den USA befindet.

Was wird geschehen? Die deutsche Energiewende wird ein teurer Alleingang, der vor allem die privaten Haushalte belasten wird; die Abfederung der steigenden Energiepreise aus dem Budget wird den Spielraum der Politik deutlich einschränken und die Ampelkoalition wird ihr Etikett als „Reformpartnerschaft“ bald einmotten können.

Natürlich wäre es naiv, Russland jegliche politische Motive in seinem Gasgeschäft abzusprechen. Jedoch wäre es ebenso naiv, anzunehmen, dass der Westen, allen voran die USA, in seinem Wirkungsbereich Politik von Wirtschaft trennte. Eine Zeit lang betonte Olaf Scholz den privatwirtschaftlichen Charakter von Nord Stream 2, jetzt, unter massivem Druck der Medien und seiner atlantischen Bündnispartner, rückt er von dieser neutralen Position ab.

Seit Wochen behaupten Medien, Sicherheitsexperten und NATO-Vertreter, Russland plane einen massiven Militärschlag, ja sogar einen Einmarsch seiner Truppen in die Ukraine. Diese Behauptungen haben den Stellenwert einer „self fulfilling prophecy“. Die diese Behauptungen stets ablehnenden russischen Stellen werden „nicht einmal ignoriert“. Die deutschen „Qualitätsmedien“ sind in einem Erregungszustand wie seinerzeit die britischen zu Beginn des Falkland-Krieges. Wie groß wird wohl die Enttäuschung sein, wenn es zu keinerlei Kampfhandlungen kommt?

Russland ist Russland und Putin ist der Präsident dieses Landes; dass nicht alle Russen glühende Putin-Verehrer sind, ist klar. Aber das gilt auch für die USA und Biden oder Frankreich und Macron. Europa und vor allem die EU hat Russland gegenüber Respekt zu erweisen, nicht zuletzt aufgrund der jüngeren Geschichte. Es ist kein Zufall, dass in den ostdeutschen Ländern die Haltung gegenüber Russland und auch Putin wesentlich realistischer und positiver ist als im Westen Deutschlands. Und schließlich: Geografisch endet Europa im Osten entlang des Ural-Gebirges und viele europäische Politiker wären gut beraten, auf gute Nachbarschaft mehr zu bauen als auf entfernte Freunde.

 

Peter Lüftenegger, Wien, Jänner 2022