Axel Vogel, MdL, Potsdam

Die Überraschung war die Überraschung

 

Zum Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen

 

 

Die Umfrageinstitute hatten das Wahlergebnis bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen bereits Wochen zuvor ziemlich treffsicher vorhergesagt:

 

CDU und FDP verlieren ihre bisherige Regierungsmehrheit; im Landtag wird es eine neue Parlamentsmehrheit von SPD, B90/Grüne und Linke geben; für Rot-Grün wird es alleine nicht reichen, so dass neue Koalitionen absehbar wären.

 

Und so ist es denn auch gekommen. Überraschend war dann eigentlich nur, wie scheinbar überrascht die Parteien von dem eingetroffenen Ergebnis (CDU: 34,6 %, SPD 34,5 %, B90/Grüne 12,1 %, FDP 6,7 Die Linke 5,6 %)  waren und wie seltsam unvorbereitet sie auf diesen Fall zu sein schienen.

 

Während die SPD, die gegenüber der Vorwahl noch einmal rund 400.000 Stimmen (- 2,6 Prozentpunkte) verloren und damit ihr schlechtestes Ergebnis in NRW seit 50 Jahren eingefahren hatte, sich sofort als Siegerin bejubelte, benötigte die CDU, die rund 1 Mio. Stimmen (-10,2 %) eingebüßt hatte, erst einmal eine Schrecksekunde, bevor sie sich als stärkste Partei identifizierte und ihrerseits den Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt erhob.

 

Entschieden wurde die Wahl aber vom Ergebnis der kleineren Parteien, die gegenüber der Vorwahl alle zugelegt hatten und nun in unterschiedlichem Maße für die Koalitionsbildung benötigt oder auch nicht benötigt werden.

 

Man braucht kein großer Prophet zu sein um vorherzusagen, dass die SPD angesichts der eingetretenen Konstellation ohne großes Aufheben („aus staatspolitischer Verantwortung“) in Verhandlungen über eine große Koalition mit der CDU eingetreten wäre, wenn eben diese CDU nicht im Zieleinlauf mit 6.200 absoluten Stimmen vor der SPD gelegen hätte und daraus den Anspruch auf den Ministerpräsidentenposten ableitete.

 

Da die Wiederwahl des diskreditierten CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers aber angesichts des knappen Abstandes zwischen den beiden Parteien für die SPD eine völlige Demütigung wäre, andererseits die CDU aus grundsätzlichen Erwägungen (Präzedenzwirkung für alle anderen Landesparlamente) nicht auf den Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt verzichten wird, scheidet eine große Koalition bis zum Scheitern aller anderen Möglichkeiten vorerst aus. Auf die von der Presse ins Gespräch gebrachte „israelische Lösung“ mit wechselnden Ministerpräsidenten sind bislang weder CDU noch SPD angesprungen und diese dürfte auch eher eine Nummer für das Feuilleton sein als eine in Deutschland politikfähige Variante darstellen.

 

Als erste der kleinen Parteien hatte sich die FDP bereits lange vor dem Wahltag selbst aus dem Rennen genommen. Mit ihrer selbst gewählten Fesselung an die CDU ist sie innerhalb des sich verfestigenden deutschen 5-Parteiensystem die unbeweglichste Kraft. Da sie mit ihren neoliberalen und zunehmend als „marktradikal“ apostrophierten Inhalten die extremistischste Kraft in der stark etatistisch ausgeprägten Parteienlandschaft darstellt, werden Bündnisse mit ihr auch von den Parteien links der Mitte abgelehnt.

 

Für Bündnis 90/Die Grünen sind insbesondere sogenannte „Jamaica“-Koalitionen mit FDP und CDU so außerhalb der Vorstellungswelt, dass diese Option sowohl auf Bundesebene als auch in NRW bereits vor den Wahlen explizit ausgeschlossen wurde. Scheinen schwarz-grüne Koalitionen mit der CDU aufgrund vermuteter oder auch tatsächlich vorhandener Schnittmengen noch möglich, so stellt die FDP für Bündnisgrüne inzwischen das sprichwörtlich rote Tuch dar. Dabei stehen Ablehnung der  FDP-Programmatik und Aversion  gegen deren Führungskräfte (Westerwelle, Niebel, Rösler) gleichberechtigt nebeneinander. Ein Versuchsballon des FDP-Landesvorsitzenden Pinkwart für eine Ampelkoalition platzte bereits, bevor er richtig aufgeblasen war. Dessen Angebot, für Gespräche zur Verfügung zu stehen, allerdings nur dann, wenn SPD und Grüne vorab  jede Verhandlung mit der Linken ausschlössen, konnte nur im Nirwana enden. Dem Vernehmen nach ging selbst dieses Pseudoangebot seines NRW-Vorsitzenden dem FDP-Chef Guido Westerwelle zu weit, so dass dieses Angebot nicht einmal als erste Lockerungsübung der FDP für zukünftige Wahlen zu werten ist.

 

So stellt eine Koalition mit der SPD und dem unberechenbaren Landesverband der LINKEN für Bündnis 90/Die Grünen in NRW nicht nur das sprichwörtliche kleinere Übel sondern die einzige Variante dar, wenn man aus der Regierung heraus Politik mitgestalten will. Wobei die Grünen von Anfang an eine echte Koalition mit SPD und LINKEN einforderten und die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch die LINKE strikt ablehnen.

 

Vereinbart sind nun erst einmal Gespräche zwischen SPD und Grünen, wobei letztere dabei ausloten wollen, inwieweit eine „privilegierte Partnerschaft auf Augenhöhe“ mit der SPD überhaupt machbar ist. Schwarz-grüne Bündnisse waren in den letzten Jahren wesentlich durch das arrogante Auftreten der SPD in rot-grünen Koalitionen ermöglicht worden und wer heute die Hamburger Grünen von den ganz anderen Umgangsformen der von-Beust-CDU schwärmen hört, der hat eine Ahnung, welche Verletzungen die SPD in den Reihen der bündnisgrünen Führungskräfte angerichtet hat.

 

Auch in NRW dürfte es mit dem von den Grünen angestrebten “ökologisch-sozialen“ Reformprojekt mit der SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft nicht so leicht werden. So stand Hannelore Kraft bislang nicht gerade für einen ökologisch orientierten Reformflügel in der SPD, sondern machte zunächst einmal mit der Forderung nach einer Fortführung des hoch subventionierten Steinkohleabbaus von sich reden. So könnte denn die Frage, ob es überhaupt zu einer rot-grün-roten Koalition kommen kann, sich bereits an dem Umgang mit dem gerichtlich gestoppten Kohlekraftwerksbau in Datteln entscheiden. Während die SPD den Weiterbau dieses größten Schwarzbaus der Republik einfordert, wollen Die Grünen hieraus die größte Investitionsruine seit den stillgelegten  Atomkraftwerken Hamm-Uentrop, Kalkar und Mülheim-Klärlich werden lassen. Für die SPD, die immer noch im mythisch verklärten Kohlekumpel den Urgrund der sozialdemokratischen Seele sieht, eine schlichtweg absurde Vorstellung. Und wenn sich SPD und Bündnisgrüne verständigt haben, stehen noch die Verhandlungen mit der LINKEN bevor. Man darf gespannt sein.

 

Die CDU kopiert vorerst die Erfolgsstrategie des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Koch und wartet darauf, dass Frau Kraft die neue Ypsilanti gibt. Ob die Aufregung über ein rot-grün-rotes Bündnis in NRW allerdings so groß werden kann wie in Hessen und ob sich dann wieder die erforderliche Zahl von SPD-Verräter/Innen zur Torpedierung der Regierungsbildung finden wird, bleibt abzuwarten. Dass die SPD-Rechte nach Heide Simonis in Schleswig-Holstein und Andrea Ypsilanti in Hessen die Traute hat, auch noch die dritte SPD-Ministerpräsidentenkandidatin über Bord zu kippen, ist eher unwahrscheinlich. Zu böse wurde die SPD bei den nachfolgenden Wahlen abgestraft.

 

Bis zum letzten Vorhang ist es also noch ein Stückchen hin und das geduldige Publikum darf sich auf mehrere Akte gefasst machen. Ob es ein Erfolgsstück wird oder als Tragödie endet, ist noch unklar: Ausgang offen.