Österreichische Außenpolitik im 21. Jahrhundert – 29.September 2009

 

Lehren aus der Geschichte

 

Außenpolitik spiegelt die an sie herangetragenen Wünsche und Erwartungen der Innenpolitik wieder. Gleichzeitig ist sie Antwort auf Entwicklungen in der Welt, die Auswirkungen auf das Leben der Bürger eines Landes haben oder voraussichtlich haben werden. Die österreichische Außenpolitik in der Ersten Republik, insbesondere in ihren letzten autoritären Jahren, versuchte zwischen den Wellen verschiedener faschistischer Nachbarn zu surfen, was 1938 mit dem Absturz endete. 1945, nach der Neugründung der Republik, stand ein Jahrzehnt lang das Bemühen um Anerkennung der vollen Souveränität im Vordergrund. Außenpolitische Aktivitäten, nicht nur der Republik selbst, waren auf dieses Ziel gerichtet. Die Labourregierung in Großbritannien und die Sozialdemokraten in Skandinavien leisteten einen wesentlichen Beitrag – ebenso wie Renners Ansehen bei Stalin.

 

Nach Abschluss des Staatsvertrages 1955 und dem Abzug der Besatzungsmächte galt es Österreich in die internationale Völkergemeinschaft zu führen, in die Vereinten Nationen und ihre Institutionen ebenso wie in den Europarat. Die internationale Absicherung sollte verhindern noch einmal so allein zu bleiben wie 1938. Mit der Erklärung der immerwährenden Neutralität wurde verhindert, in Krisen und Kriege hineingezogen zu werden, die sich vor allem im Zusammenhang mit der Konfrontation USA-Sowjetunion erwarten ließen.

 

 

Weg nach Europa

 

Ausgehend vom Zusammenschluss der europäischen Gemeinschaften der Sechs galt es, sich einen Platz in der durch die Marshallplanhilfe stimulierten europäischen Wirtschaft zu sichern, ohne Zweifel an der immerwährenden militärischen Neutralität aufkommen zu lassen. Das war die Voraussetzung für den Beitritt zur EFTA (European Free Trade Association), später für den Handelsvertrag besonderer Art mit den Europäischen Gemeinschaften 1972. Als Teile der Binnenmarktbeschlüsse der mittlerweile erweiterten EG den im Handelsvertrag vorgesehenen und stufenweise vollzogenen Abbau der Zollschranken durch EG-exklusive Entwicklung technischer Normen zu unterlaufen werden drohten, ergriff Österreich die Initiative zum EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) und den diesbezüglichen Beschlüssen von EG und EFTA im April 1984 in Luxemburg. Niemals hat sich Österreich über seine militärische Neutralität hinaus einem politischen Neutralismus zugewandt. Die diesbezügliche Unterscheidung hat manche österreichische Kommentatoren leider immer noch nicht erreicht.

 

Neben der Sicherung der Südgrenze gegenüber dem damaligen Jugoslawien und der Südtiroler Autonomie hat Österreich, soweit es die Auswirkungen des Kalten Krieges zuließen, mit seinen nordöstlichen Nachbarn Beziehungen aufgebaut, die später sicherlich zum friedlichen Übergang von Nachbarländern in die Völkerfamilie der Demokratien beigetragen haben, ohne dass deren autoritäre Regime gestützt worden wären. Man hat aber auch über den Tellerrand der Nachbarschaftspolitik hinaus die Bedeutung und Rückwirkung des Prozesses für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erkannt und tatkräftig unterstützt. Leider haben die Bemühungen Dr. Kreiskys in Helsinki, in die europäische Sicherheit auch die Lösung des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern einzubeziehen, nichts gefruchtet. Die USA wollten ihren Landstützpunkt Israel nicht gefährden, die Sowjets ihren Einfluss auf Syrien und den Irak nicht verlieren. Immerhin haben Kreiskys jahrzehntelangen Bemühungen – trotz aller Querschüsse - dazu geführt, dass es heute überhaupt eine Autonomiebehörde im Westjordanland und eine eigene Verwaltung im Gazastreifen gibt.

 

Österreich konnte sich seither nicht mehr dazu aufschwingen eine Initiative zur Verhinderung des Mauerbaus im Westjordanland, der gegen alle Kategorien von Menschenrechten und Völkerrechten verstößt, zu initiieren. Dabei wäre doch die Verurteilung durch den Internationalen Gerichtshof Basis genug gewesen. Auch in der unmittelbare Nachbarschaft hat Österreich in einem wesentlichen Punkt versagt: beim Zerfall des föderativ gegliederten Jugoslawien wurden Nachfolgestaaten anerkannt, ohne dass die völkerrechtlichen Voraussetzungen dafür – international anerkannte Grenzen, demokratische Regierungen und Minderheitenschutz gewährende Verfassungen - gegeben waren. Man wurde an „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus erinnert: „Serbien muss sterbien“.

 

Dass nach der Implosion des Sowjetimperiums und seiner Satelliten der Weg frei wurde Österreich in die Europäische Gemeinschaft zu führen, wurde vernünftigerweise genützt. Nicht genutzt wurde hingegen der mit der Schweiz angedachte und auch durchführbar gewesene Alpenverkehrsriegel. Man ließ sich mit einem Zehnjahresmoratorium abspeisen und handelte sich dadurch jahrelange Auseinandersetzungen mit den betroffenen Anrainern in den Alpentälern ein. Die Angst, sonst nicht aufgenommen zu werden, war sicher kein guter Ratgeber. Völlig negiert wurde die Tatsache, dass sich Österreich in eine Wirtschaftsgemeinschaft eingliederte, deren Regeln die absolute Dominanz neoliberaler Prinzipien war. Wettbewerbsfreiheit und Privatisierung ist alles, der Staat soll, wie vor dem Ersten Weltkrieg, auf die Dimension des Nachtwächterstaates schrumpfen. Sicher kann sich der Beitretende nicht eine andere EG aussuchen als die die es gibt, aber man hatte das ja auch gar nicht vor sondern glaubte selber an das europäische Liberalisierungs- und Wettbewerbsmodell, das dem von Reagan und Thatcher schon sehr nahe kam.

 

Wozu heute noch darüber reden? Um klüger zu werden für heute und morgen! Im Bereich der Dienstleistungswirtschaft – kommunale Versorgungsbetriebe, Wasserwirtschaft etc. - scheint das nach heftigen Protesten der europäischen Gemeinden unter der Leitung von Bürgermeister Dr. Häupl gelungen zu sein.

 

Wettbewerbsverhindernde Elefantenhochzeiten – etwa in der Energiewirtschaft oder in der Telekommunikation - hat man nicht nur nicht verhindert sondern gefördert.

 

 

Politik nach der Wende

 

Professor Jeffrey Sachs war der Künder eines selbsttätigen Marktmechanismus nach Zusammenbruch der Staatswirtschaft in der Sowjetunion. Geboren wurde ein Mafiakapitalismus, der die Rechtfertigung für heutige Staatseingriffe in die russische Wirtschaft liefert; und Sachs hat sich seither von seinen eigenen Theorien distanziert.

 

Die österreichische Politik gegenüber dem gewandelten Mittel- und Osteuropa war zwiespältig. Man bemühte sich um die Nachbarn, erweckte aber manchmal den Eindruck der Bevormundung. Banken und Wirtschaft nahmen ihre Chancen wahr, und wenn sie heute teilweise auf faulen Krediten sitzen, ist das immer noch besser als auf titrierten Anteilen an amerikanischen Hypothekenschulden zu sitzen, die niemand mehr begleicht.

 

Österreich hat natürlich ein besonderes Interesse daran, dass sich auf dem sogenannten Westbalkan nicht die Massenmorde wiederholen, die es dort zwischen 1941 und 1945 und in den Neunzigerjahren gegeben hat. Das darf aber nicht dazu führen, dass andere Teile der internationalen Entwicklung zu wenig Beachtung finden.

 

In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage in wie weit es einem Achtmillionenland gelingen kann alle Vorgänge in der Welt daraufhin zu überprüfen, ob sie für die eigene Zukunft relevant sind, und danach die eigenen Aktivitäten auszurichten. Ohne die zum Teil fließenden Übergänge zwischen den einzelnen Problemkreisen zu übersehen geht es in erster Linie um:

 

 

 

Für Sicherheit und Frieden

 

Die friedliche Auseinandersetzung zwischen Vertretern unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine möglichst rasche und in allen Teilen der Welt wirksame Verbesserung der Lebensverhältnisse, für hunderte Millionen Menschen einfach nur zur Sicherung ihrer physischen Existenz. Das bedeutet nicht nur eine Stärkung der Instrumentarien die dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Durchführung seiner friedensstiftenden oder friedenserhaltenden Maßnahmen zur Verfügung stehen, sondern auch ein erhöhtes Maß an Verantwortungsbewusstsein der Mitglieder des Sicherheitsrates, insbesondere der Veto-Mächte. Die Erklärungen von Präsident Obama über eine Hinwendung der Außenpolitik der USA zu Verhandlungslösungen und multilateralen Anstrengungen ist ein Hoffnungsschimmer. Ihm müssen aber gleichermaßen Russland und China sowie Großbritannien und Frankreich folgen. Alle sitzen im gleichen Boot. Was hindert sie gemeinsam zu rudern? Das ist Stück für Stück zu ergründen und abzuarbeiten. Eine Analyse steht auch einem kleinen, temporären Mitglied des Sicherheitsrates wie Österreich gut an. Im Falle Großbritanniens und Frankreichs wirft sich die Frage auf, wieso es zwar deklamatorisch eine eigene Außenpolitik der EU gibt, aber nur bei Vollkonsens. Wollen also die Großen in der EU nicht, bewegt sich nichts. Kleinere, wie Österreich, müssen sich daher überlegen welche Retorsionsinstrumente ihnen zu Verfügung stehen. Dürfen nur Kandidaten aus NATO-Ländern die Funktion eines Hohen Repräsentanten der EU ausüben? Jetzt ist auch die Zeit um mit den USA über eine Abgrenzung ihrer Einflussnahme auf die Außenpolitik der EU zu sprechen. Für viele neue Mitglieder in der EU ist die USA der Schirmherr gegenüber Russland. Gestärkt wird dieser Standpunkt noch durch die Verhaltens(un)kultur mancher Akteure der russischen Politik, die viele an sowjetische Zeiten gemahnt. In diesen Tagen gilt es daran zu erinnern, dass 1939 Polen entweder niemand helfen konnte oder wollte. Die Sicherheit solcher Staaten ist nur gewährleistet, wenn die EU stark und die wirtschaftliche Kooperation mit Russland so intensiv ist, dass beide Seiten nicht mehr auf sie verzichten können. Der Weg dazu wird gegenwärtig von den USA mit Polen und Tschechien verhandelt, wobei auf die Raketenstellungen in Polen und das Spezialradar in Tschechien verzichtet werden soll.

 

Die EU braucht eine Streitmacht für Territorialverteidigung, aber nicht für zum Großteil überseeische Einsätze zur angeblichen Sicherung der Rohstoffbasis der eigenen Wirtschaft. Genau das hat eine Gruppe von Militärexperten im EU-gesponserten Institut für Sicherheitsforschung in Paris angedacht.

 

Übertriebene Militärstärke aufzubauen heißt diejenigen, die man fürchtet zu stimulieren, ihrerseits aufzurüsten. Natürlich wurde der zweite Krieg gegen den Irak nicht aus Angst vor nichtexistenten Massenvernichtungswaffen sondern zur Rohstoffsicherung im arabischen Golf geführt. Das Resultat ist Zerstörung, Massentötung und unter Einrechnung der Militärausgaben der höchste Rohölpreis den auch die Vereinigten Staaten wohl je bezahlt haben – was allerdings nicht die Bilanzen der Ölkonzerne belastet, sondern im Gegenteil zu Windfallprofits führt.

 

Die Rohstoffsicherungspolitik der USA kostete sie nicht nur viele Menschenleben, sondern schon 2007 739 Milliarden Dollar – fast so viel als sie jetzt für Beteiligungen und Bürgschaften in der Finanzkrise einsetzen mussten. Aber nicht nur in den USA mit rund 45% der weltweiten Rüstungs- und Militärausgabeanteil sondern auch in der übrigen Welt sind die Militärausgaben von 1998 bis 2007 um 45% gestiegen, vor allem neben den USA und Kanada in Afrika und in Asien, in China, Malaisyen und Indien. Zum Schutz seines internationalen Warensaustausches hat China vor allem in die seine Küstengewässer kontrollierende Flotte investiert. Auch seine Politik gegenüber Taiwan ist davon mitbestimmt. In Europa betrug der Anstieg der Rüstungsausgaben vergleichsweise bescheidene 16%, und das vor allem in Mittel- und Osteuropa im Zuge der Umrüstung auf NATO-Technologie. Westeuropa rangiert mit knapp 1% Zunahme seiner Rüstungsausgaben auf dem letzten Platz. Einen negativen Ausreißer liefert hier Österreich mit plus 23% aufgrund der grandiosen Idee Kampfflugzeuge zu reinen Luftraumüberwachungszwecken anzukaufen, und einen Ausliefervertrag abzuschließen, der es dem Erzeuger überlässt wann ausgeliefert wird, aber den Kunden Österreich dem Erzeuger ausliefert. In Westeuropa gibt man 1,5% bis 2,5% des BIP für Militär und Rüstung aus, in den USA über 4%, in Georgien 5,2%. Für Entwicklungshilfe reicht es – mit wenigen Ausnahmen – für 0,5% des BIP und weniger.

 

Eine politisch heterogene Gruppe von Österreichern hat sich Ende 2007 Gedanken über eine engagierte Neutralitätspolitik Österreichs im 21. Jahrhundert gemacht. Darin wird die Unterstützung der Ansätze der Vereinten Nationen zur Erreichung ihrer Millenniumsziele vorgeschlagen. Ihrer Meinung nach geht es im Sicherheitsbereich weniger um ausschließlich territoriale als um menschliche Sicherheit (human security). Mittel, die bisher für Rüstung aufgewendet wurden, müssen für Projekte menschlicher Entwicklung zur Verfügung gestellt werden. Außenpolitik ist daher in erster Linie eine politische Aufgabe. Die demgemäß vorgeschlagene verstärkte Ausbildung und der Einsatz ziviler Fachkräfte innerhalb und außerhalb der EU hat mittlerweile auch in die Vorhaben des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten Eingang gefunden. Es fehlt aber häufig an der finanziellen Ausstattung. Für UNO-Friedenseinsätze auszubildende Südafrikaner sollen in Bosnien-Herzegowina praxisbezogen ausgebildet werden. Die relativ geringfügigen Aufwendungen können aber nicht von der Landesverteidigung bezahlt werden, da für das Ausland das Außenministerium zuständig ist. Das hat aber kein Geld dafür.

 

In der Europäischen Union soll sich Österreich für eine entschiedene Friedenspolitik einsetzen, sich gegen europäische Großmachtfantasien wenden. Ein Militärpakt mit Beistandsverpflichtungen wird sicher von der Umwelt als Bedrohung wahrgenommen und produziert daher Unsicherheit. Streitkräfte aus den Mitgliedsstaaten der EU sollen daher nur mehr an vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten Friedensmissionen teilnehmen. Nebenbei wäre eine solche Haltung auch ein Schritt zum besseren Verständnis der EU-Politik durch die Bürger seiner Mitgliedsstaaten. Da die Mehrheit der EU-Mitglieder der NATO angehören, ist es schwer für sie mit ein und denselben Truppen zwei verschiedenen Doktrinen zu dienen. Hoffentlich früher als später wird es aber auch der NATO und ihrer Führungsmacht den USA nicht erspart bleiben ihre Bündnisprioritäten neu zu ordnen, das eingefrorene Verhältnis zu Russland aufzutauen.

 

Für eine selbstständige Sicherheitspolitik der EU gilt es aber auch eigene Vorleistungen Österreichs  anzubieten, zumindest in Aussicht zu stellen; z.B.: gut eingespielte Standby-Einsatzkräfte mit militärischen, polizeilichen und vor allem zivilen Komponenten. Ein Kompetenzzentrum für militärisch-polizeiliche Kräfte soll für die Bereiche Konfliktprävention, Friedenserhaltung, Katastrophenhilfe und Aufbau funktionsgestörter Gesellschaften dienen. Durch Umschichtungen im Militärhaushalt müsste das dafür notwendige Budget sichergestellt werden. Sicherzustellen ist ausreichende Transportfähigkeit und Aufbau moderner Führungs-, Kommunikations- und Aufklärungssysteme. Mit Eurofightern kann man da wenig anfangen.

 

Das Kompetenzzentrum für zivile Einsatzkräfte müsste sich auf unabhängige Hilfsorganisationen und Nichtregierungsakteure zur zivilen Konfliktbearbeitung stützen können. Ihre Unvoreingenommenheit in Konfliktfällen wäre sowohl in Österreich als auch in den Krisengebieten gewahrt.

 

Eine institutionalisierte Kooperation aller mit Sicherheit befassten Ministerien ist notwendig.

 

Man könnte auch überlegen die Wehrpflicht auf vier Monate zu reduzieren, wenn danach eine weitere funktionsspezifische Ausbildung auf freiwilliger Basis angeboten und durch ein Anreizsystem honoriert wird. Auch ein analoger Umbau des Zivildienstes wäre zu überlegen.

 

Österreichische Neutralitätspolitik im 21. Jahrhundert kann nicht ein „sich heraushalten!“ bedeuten sondern bedarf einer intensiven Beteiligung am internationalen Krisenmanagement. Dadurch erhält ein kleineres Land auch außenpolitisch auf Basis seiner Neutralität und durch Engagement für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der Menschenrechte Glaubwürdigkeit.

 

Ob bei Atomwaffen oder konventionellen Waffen, chemischen oder biologischen Kampfmitteln: Österreich muss Mahner und Initiator sein, um die hochgerüsteten Großstaaten zu längst überfälligen Abrüstungsschritten zu bewegen. Das bisherige Engagement im Falle Landminen und Streumunition bzw. bei chemischen Kampfmitteln hat bewiesen, dass sich auch Abrüstungsinitiativen von kleineren Ländern lohnen.

 

 

Welthandel und Entwicklung

 

Die eingefrorene Doha-Runde der WTO (World Trade Organization) ist unbedingt zu reaktivieren. Es ist unbillig, von Schwellen- und Entwicklungsländern die Öffnung ihrer Märkte zu verlangen, aber die eigene, teilweise subventionierte Landwirtschaft der Industriestaaten gegen Lebensmitteleinfuhren abzuschotten. Nicht nur Handels- sondern gerade auch Entwicklungspolitik braucht Abschätzbarkeit, um die Sinnhaftigkeit von nationalen und internationalen Investitionen zu gewährleisten. Trotz hohem Ausbildungsniveau seiner Bürger wäre ohne Marshallplan der wirtschaftliche Aufstieg Westeuropas unmöglich gewesen. Dementsprechend sind Übergänge der internationalen Finanzinstitutionen für die Entwicklung einer eigenen Wirtschaft der Entwicklungsländer unerlässlich. Armen Ländern mit der Einstellung der Finanzhilfe zu drohen wenn sie nicht die Leistungen an ihre Bürger minimieren um ihr Budget zu sanieren ist erwiesenermaßen der falsche Weg. Außerdem gibt es nicht ein Schema für alle. Die Möglichkeiten der Entwicklungsländer hängen nicht zuletzt davon ab, in wie weit ihre Bürger dafür ausgebildet sind, um im modernen globalen Wirtschaftsverbund konkurrenzfähig zu sein. Bildungs- und Ausbildungspläne muss man verlangen, nicht Budgetbeschränkungen auf Kosten der Ärmsten.

 

 

Finanzmarktorganisation

 

Es besteht weitgehendst innenpolitischer Konsens darüber, dass die Finanzmärkte neu geordnet werden müssen – überhaupt erst geordnet werden müssen. Expertenvorschläge gibt es Sonderzahl. Was soll Österreich vorschlagen oder unterstützen?

 

Da gibt es zum Beispiel die graue Liste jener Staaten, die das Bankgeheimnis ihrer Bürger aufrechterhalten möchten. Da es für inländische Banken schwer ist ihre in- und ausländischen Kunden unterschiedlich zu behandeln, kamen auch Schwarzgeldanleger unter diesen Schutz. Schon vor Jahren wurde aber jeder Erlag von mehr als EUR15.000,- auf dem Konto einer österreichischen Bank nur dann entgegengenommen, wenn sich der Anleger ausgewiesen hat. Warum soll jetzt auch noch ohne Nennung konkreter Verdachtsmomente jede Anfrage aus dem Ausland über ihn weitergegeben werden? Bei nicht auszuschließenden Verwechslungen – ob beabsichtigte oder unbeabsichtigte – kann das zu wirtschaftlichen Schädigungen führen. Gewisse Dienste im Ausland waren schon bisher nicht zimperlich. Wer in Dellaware, auf den Cayman Inseln oder auch auf den Kanalinseln und in Monaco von Dritten unkontrollierte Finanztransaktionen und Steuervergünstigungen duldet, hat nur dann ein Anrecht auf rigorosere Kontrolle anderer, wenn er sie zuerst bei sich selbst anwendet. Viel entscheidender ist aber in der Zukunft die Frage, wie Spekulationen verhindert werden können die zu solchen Marktzusammenbrüchen führen, wie das jüngst der Fall gewesen ist. Die US-Administration hat ja schon lange um die faulen Hypothekenkredite gewusst. Sonst hätte man ja nicht Fanni Mae und Freddi Mac wieder verstaatlicht. Es ist sicher auch kein Zufall, dass man Lehman Brothers in Konkurs gehen ließ. Damit wurde ein erheblicher Teil der faulen Hypothekenkredite, die Lehman Brothers in Europa abgesetzt hatte, den Europäern zur Wertberichtigung in ihren Bilanzen „übertragen“.

 

So wie seinerzeit die Dollarabwertung den Vietnamkrieg mitfinanziert hat, zahlen jetzt die Europäer einen erheblichen Teil der Hypothekenschulden der USA mit.

 

Die Besteuerung kurzfristiger Börsentransaktionen wird überall verlangt, ist aber noch nirgends durchgeführt. Selbst wenn man sich in der EU darauf einigt aber die Börsen in anderen Kontinenten nicht mitmachen, wird europäisches und internationales Kapital abwandern. Darüber hinaus ist die Erfassung von kurzfristigen Finanztransaktionen in der Zeit der computergesteuerten, sekundenschnellen Auftragsübermittlung ohne entsprechende weltweite Neuprogrammierung der einschlägigen Software praktisch nicht durchführbar.

 

Alle Kontrollvorschläge sind recht nett, aber es liegt in ihrer Natur, dass sie erst hinterher auf die bereits begangenen Sünden draufkommen können.

 

Eine Studie des Arbeitskreises Europa der Friedrich Ebert Stiftung schlägt u. A. konkret vor:

 

 

 

Klimaentwicklung

 

Das politische Kernstück ist das Kyotoprotokoll, von Hauptverschmutzern wie China und den USA nicht unterzeichnet, von vielen anderen nicht eingehalten; auch von Österreich. Auf der bevorstehenden Kopenhagener Konferenz werden angeblich die Weichen neu gestellt.

 

In Österreich ist der größte CO2 Emittent der Verkehr. Das lässt sich aber nicht wesentlich verändern solange der Transit Dritter auf der Strasse ungehindert ansteigen darf und die Autoindustrie nicht emissionsärmere Antriebstechniken zu leistbaren Preisen anbietet. Wird das globale Umweltthema die österreichische Außenpolitik bestimmen, oder die Lobby der Straßentransportwirtschaft?

 

 

Menschen- und Sozialrechtsentwicklung

 

Das traditionell starke Engagement Österreichs für Menschenrechte wird weitergeführt – im Europarat, in der EU und in der UNO. Wenn es um Menschenrechtsverletzungen der Mächtigen geht, tritt man aber leise, z. B. beim militärischen Überfall auf den Irak oder beim Ignorieren der völkerrechtswidrigen Okkupation des Westjordanlandes durch Israel seit 1967, bei den menschenrechtswidrigen Kontrolleinrichtungen an Checkpoints innerhalb des Westjordanlandes, vor allem aber beim Mauerbau und bei der Züchtigung der Hamas im Gazastreifen mit rund 1.500 Toten. Jedes Mal, wenn die politische Rechte in Israel einen Wahlschlager braucht, werden die Palästinenser drangsaliert oder gar bombardiert. Den Wiederaufbau zahlt vor allem die EU, darunter - nicht unmaßgeblich - auch Österreich. Dagegen muss sich Österreich notfalls auch verbal wehren. Mitschuld am Holocaust vor über 60 Jahren kann man nicht mit der Duldung von Verletzungen des Menschen- und Völkerrechts durch israelische Regierungen kompensieren.

 

Die weltweite Förderung des sozialen Rechts wäre eines eigenen, umfangreichen Kapitels wert. Hier nur so viel: über Hungerlöhne in der Industrie von Entwicklungs- aber auch von Schwellenländern wird Lohndruck in den Industrieländern erzeugt. Die Gewerkschaften haben – aus welchen Gründen immer – dagegen kein global wirksames Mittel gefunden sondern schlagen sich mit der Milderung der negativen Auswirkungen auf ihre Mitglieder herum. Gleichzeitig wird aber die Finanzierung des Sozialsystems in den Industriestaaten durch stagnierende Löhne und Sozialabgaben bei gleichzeitig steigenden Kosten gefährdet. Die Demokratien, vor allem in der EU, sind auf den Konsens mit ihren Bürgern angewiesen. Daher muss die Politik in die globalen finanz- und handelspolitischen Regelungen auch solche für Sozialstandards entwickeln.

 

 

Kulturen und Religionen

 

Es ist verdienstvoll, wenn Österreich Vertreter der großen Weltreligionen einlädt. Es ist typisch und kontraproduktiv zugleich, wenn dort nur sorgfältig vorbereitete Texte verlesen werden, ein echter Dialog unterbleibt. Es wäre einer österreichischen Initiative wert, im Rahmen der UNO Vertreter der Weltreligionen einzuladen, um ihre Vorschläge für ein friedvolles Miteinander in der Welt vorzustellen.

 

Samuel Huntington ist bei seinem „Clash of Civilizations“ von geographisch darstellbaren Kulturkreisen und deren Kernstaaten ausgegangen. Die bisherigen „Zusammenstösse“ lassen sich aber kaum damit erklären. Viel wichtiger ist es, sich – besonders aus europäischer und österreichischer Sicht – damit zu befassen, ob die moderne Völkerwanderung zum „besseren Leben“ im Interesse der Ansässigen ebenso wie der der Zuwandernden mit Aussperrungsmechanismen bewältigt werden kann, deren Aufwand besser dazu verwendet werden sollte, den potentiellen Zuwanderern ein Leben in Hoffnung auf Aufstieg daheim zu gewährleisten.

 

von Erwin Lanc, September 2009