Mit WUMS in die Europawahl – Bündnis 90/Die Grünen im Wahljahr 2009

 

Wer dieser Tage durch Deutschland fährt, dem sticht allerorten auf Wahlplakaten der grüne WUMS ins Auge – Während die SPD auf ihren Plakaten Finanzhaie FDP wählen lässt, die CDU schwarz-rot-gold mit „wir in Europa“ wirbt und die FDP „Für Deutschland in Europa“ kämpft stehen für die Bündnisgrünen „Wirtschaft und Umwelt – Menschlich und Sozial“, so das in Fußnoten als Akronym offenbarte WUMS,  im Mittelpunkt des Europawahlkampfes. Ob die  Botschaft des Europawahlkampfes bei den WählerInnen ankommt, wird der Wahlabend des 7. Juni zeigen, nach den letzten Umfragen jedenfalls könnten die bundesdeutschen Grünen mit 12 – 13 % als Dritte Kraft vor FDP und den Linken einlaufen.

 

Die mediale Zuspitzung bündnisgrüner Politik auf die Themen Wirtschaft und Umwelt und der damit verbundene Versuch grüne Fachkompetenz nicht nur im Politikfeld Ökologie zugeschrieben zu bekommen, findet aber auch im Programm für die am 27.09.2009 anstehenden Bundestagswahlen ihre Entsprechung.  Die Schlüsselworte heißen hier: „Grüner Neuer Gesellschaftsvertrag“ und „Grüner New Deal“.

 

Ausgehend von der Überlegung, dass der alte Gesellschaftsvertrag der Bundesrepublik, mit den Versprechen, dass Bildung und Aufstieg unabhängig von der Herkunft möglich sind, dass in einer solidarischen Gesellschaft die Starken für die Schwachen einstehen und Staat und Gesellschaft einspringen, wenn Menschen abgehängt zu werden drohen, erloschen ist, formuliert das grüne Wahlprogramm die Grundlagen eines neuen Gesellschaftsvertrages mit den Koordinaten „Klima, Gerechtigkeit und Freiheit“.  

 

Basis eines solchen neuen Gesellschaftsvertrages soll die Verabredung werden, nicht auf Kosten anderer zu leben, weder auf Kosten der Entwicklungsländer noch auf Kosten zukünftiger Generationen. Ökologische Fairness und eine Politik der Teilhabe und sozialen Sicherheit, mehr Demokratie und die Ausrichtung auf eine starke und reformierte EU sollen weitere Grundelemente dieses erneuerten gesellschaftlichen Konsenses sein.

 

Aus der Erkenntnis, dass die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise eng mit der weltweiten ökologischen Krise verzahnt ist und das Setzen auf einen wieder anspringenden Konjunkturzyklus die erforderliche grundlegende Erneuerung unseres Wirtschaftssystems nur aufschiebt, wurde der „Grüne New Deal“ als wichtiger erster Schritt für einen grünen Neuen Gsellschaftsvertrag“ postuliert. Angelehnt an Franklin D. Roosevelts Begriff von der „Neuverteilung der Karten“ dem „New Deal“ in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wollen Bündnis 90/Die Grünen mit einem Volumen von 20 Mrd € pro Jahr Investitionen in „Klima, Gerechtigkeit und Bildung“ fördern und so 1 Million neue Arbeitsplätze schaffen. Nicht weniger als eine neue Industrielle Revolution wird für notwendig erachtet, um den Einstieg in das Solarzeitalter und den weitestgehenden Ausstieg aus der ressourcenintensiven und klimaschädlichen Kohlenstoffwirtschaft voranzubringen. 

 

 Das einstimmig verabschiedete Programm markiert im sozialpolitischen Teil ein deutliches Abrücken von den Positionen der früheren rot-grünen Koalition auf  Bundesebene. Der Verlauf der Abstimmungen, so die Mehrheiten für einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 €, für die Einführung einer allgemeine Kindergrundsicherung oder für den Wegfall der Praxisgebühr bei der medizinischen Versorgung demonstrieren ebenso wie die heftig beklatschten kapitalismuskritischen Beiträge der bündnisgrünen SpitzenkandidatInnen eine Verankerung der Bündnisgrünen auf der linken Seite des bundesrepublikanischen Parteienspektrums.

 

In logischer Konsequenz wird dann in der verabschiedeten Wahlaussage zwar ein prinzipieller Anspruch auf das Mitregieren im Bund erhoben, eine Jamaika-Koalition mit CDU und FDP jedoch definitiv ausgeschlossen. Bündnis 90/Die Grünen wollen keinen Koalitionswahlkampf führen sondern als eigenständige Kraft in den Wahlkampf ziehen.  Ein Regierungseintritt wird von einem möglichen Verhandlungsergebnis und einer erkennbaren grünen Handschrift in einem Koalitionsvertrag abhängig gemacht. Vorherige Gedankenspiele des bündnisgrünen Spitzenduos Renate Künast und Jürgen Trittin zur Bildung einer Ampelkoalition, die seitens des FDP-Vorsitzenden Westerwelle ins Lächerliche gezogen wurden, sind damit erst einmal bis nach den Wahlen vertagt.

 

Auch wenn man zugrunde legt, dass die bundesdeutsche Politik mit Ausnahme der FDP  im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise nach links gerückt ist und antikapitalistische Rhetorik gegen „Heuschrecken“ und „raffgierige Banker“ schon fast zum guten Ton zählt, bleibt festzuhalten, dass nicht nur grüne Politikansätze sondern zunehmend auch grüne PolitikerInnen in der Mitte der Gesellschaft ankommen und dort angenommen werden. Die Wahl der bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Katrin Göring-Eckart in einer Kampfabstimmung gegen den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Günter Beckstein zur Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland stellt hier eine noch viel zu wenig beachteten vorläufigen Höhepunkt dar.

 

Der Auftritt und das Werben der sozialdemokratischen Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan um Unterstützung auf dem grünen Bundesparteitag in Berlin demonstriert die gestiegene Bedeutung der bundesdeutschen Grünen. Ein durchschlagender Erfolg war Gesinde Schwan denn doch nicht vergönnt. Mit mindestens einer Stimme aus den grünen Reihen wurde Horst Köhler von der als Bundespräsident wiedergewählt. Ein Beleg für eine schwarz-gelbe Mehrheit auf Bundesebene ist dessen Wahlergebnis daher nicht.

 

Die Meinungsumfragen der fünf bedeutsamen deutschen Meinungsforschungsinstitute (täglich aktualisiert bei www.wahlrecht.de) zeigen seit längerem zwei meist gleichauf liegende politische Lager. Bündnisgrüne Politik ist es dabei auch, in dem sich stabilisierenden 5-Parteiensystem aus der Fixierung auf rot-grüne Mehrheiten auszubrechen und neue Konstellationen nicht nur rechnerisch sondern auch politisch wirksam werden zu lassen. Die Bildung der schwarz-grünen Koalition in Hamburg oder auch die Bereitschaft der hessischen Grünen sich auf eine von der Linken tolerierte rot-grüne Koalition einzulassen sind erste Vorboten neuer politischer Verhältnisse.

 

Bisher wird dieses Verhalten von den WählerInnen belohnt. So stieg der grüne Stimmenanteil nach der an der SPD gescheiterten Regierungsbildung in Hessen von 7,5 % auf sensationelle 13,7 Prozent an. Die Hamburger Grün Alternative Liste liegt in den Umfragen kontinuierlich über ihrem Wahlergebnis von 2007. 

 

Galten die vormaligen westdeutschen Grünen in ihren ersten 10 Jahren als chronisch zerstritten und nach der Bildung von Bündnis 90/Die Grünen als allein auf den Übervater Joschka Fischer ausgerichtete Partei,  stehen sie heute inhaltlich geeinte und personell gefestigt zur Wahl. Die nach dem Ausscheiden von Joschka Fischer erwarteten Diachdochenkämpfe sind ausgeblieben. Die früher das Parteileben über Gebühr strapazierenden Flügel haben sich angenähert und mit dem Grünen Gesellschaftsvertrag eine gemeinsame politische Arbeitsgrundlage geschaffen.

 

Mit der Nominierung der bisherigen Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Barbara Lochbihler und des  attac-Leitungsmitglieds Sven Giegold auf sicheren Plätzen auf der Europaliste haben sie die Verbindung zu den Sozialen Bewegungen neu geknüpft;  3 EP-KandidatInnen unter 30 Jahren zeigen zugleich, dass Bündnis 90/Die Grünen nicht das Projekt einer Generation sind.  Der steigende Zuspruch in der jungen Generation zeigte sich  auch in der Zusammensetzung der Delegierten des letzten Parteitages.

 

Die aktuellen Meinungsumfragen für die Bundestagswahlen streuen zwischen 9 und 12 Prozent, Tendenz seit dem Programmparteitag zumeist steigend. Erstmals liegen auch alle ostdeutschen Landesverbände bei den Sonntagsfragen zu den bevorstehenden Landtagswahlen über den magischen 5 Prozent. Bündnis 90/Die Grünen blicken daher voller Zuversicht nicht nur auf die Europawahlen sondern auf alle noch kommenden Wahlgänge des Jahres 2009.

 

von Axel Vogel, Bündnis 90/Die Grünen, Brandenburg, 29.Mai 2009