Ukraine wohin?

 

Die Richtung ist klar: Sie geht nach Westen; die Hinorientierung zu Europa und EU ist zumindest im westlichen Teil der Ukraine Wunsch der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung. Welche Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche sind damit verbunden? Politische Freiheit, politische Mitwirkung und Mitgestaltung, Schluss mit Korruption in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, Schluss mit dem mafiaartigen Oligarchenwesen, Wohlstand und persönliche Entfaltungsmöglichkeit.

Doch kann ein Assoziierungsvertrag mit der EU all diese Wünsche erfüllen?

Wer heute von € 50,- Rente oder € 150,- Lohn im Monat leben und auskommen muss, wird bald feststellen, dass er sich die Preise der Produkte eines großen EU-Lebensmittelkonzerns in der Ukraine in ein paar Jahren noch weniger wird leisten können als heute. Es wird einige Gewinner und viele Verlierer geben, falls es zu dieser Assoziierung kommt, von einer Vollmitgliedschaft kann in absehbarer Zeit kaum die Rede sein.

Und wie sieht es auf der anderen Seite aus? Der slowakische Präsidentschaftskandidat Fico sagt in der Endphase des Wahlkampfes ganz offen, dass sich die Slowakei an keinem Rettungspaket für die Ukraine beteiligen will.

Die Vorstellung, dass es bei der EU und beim IWF, dem internationalen Währungsfonds, Gratisgeld zum Abholen gibt, ohne Auflagen und ohne Rückzahlungsdatum, scheint derzeit viele Mitglieder der neuen Führung zu beflügeln, doch dürfte sie wenig realistisch sein.

Der zu erwartende Ruck in Richtung EU-kritische populistische Parteien bei den Wahlen zum Europaparlament im Mai wird die Handlungsfreudigkeit der neuen EU-Kommission kaum beflügeln. Jedenfalls wird es keinen Spielraum in Richtung rasche Erweiterung der EU um ost- und südosteuropäische Beitrittskandidaten für die Brüsseler Zentralisten geben.

Große Erwartungen treffen somit auf leere Versprechungen, ein bekanntes europäisches Szenario.

 

Wichtige Voraussetzung für eine Normalisierung der Verhältnisse in der Ukraine ist eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland. Zu viele historische, ethnische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Verknüpfungen gibt es objektiv, gewiss auch so manch trennende Faktoren; aber es gibt keine vernünftige Alternative zu engen, partnerschaftlichen Beziehungen. Der relative Wohlstand im Osten rührt auch von den reichlichen Arbeitsmöglichkeiten vieler Ostukrainer in Russland und umgekehrt; schließlich gibt es zwischen Charkow, Donezk und Dnipropetrowsk nicht nur veraltete Schwerindustrieanlagen, sondern dort haben auch eine Reihe erfolgreicher HighTech-Betriebe ihren Standort.

 

Die neue Ukraine hat somit zwei Optionen: Neben der Annäherung an Europa wird die weitere Intensivierung der Beziehungen zu Russland stehen; somit sollte es drei Gewinner geben: Zuoberst die Ukraine, dann ihre Partner die EU und Russland.

 

Von Dr. Peter Lüftenegger, März 2014