juridikum 01/08
recht&gesellschaft
Zur Repolitisierung des Militärischen
Auslandseinsätze des österreichischen
Bundesheeres
Peter
Steyrer
1.
Einleitung
Seit Zusammenbruch des Warschauer Paktes
herrschte in Hinblick auf Militärinterventionen, insbesondere der USA, der
Glaube an die militärische Bewältigbarkeit schier jeden Szenarios. Selbst für
Österreich standen die militärischen Möglichkeiten im Mittelpunkt der
Begründungen für die Beteiligung an militärischen Auslandseinsätzen. Gerade für
Auslandseinsätze des neutralen Kleinstaates trat zu dieser Begründung jedoch
noch die verfassungs- und völkerrechtliche Dimension hinzu.
Mit den Einsätzen im Tschad und im Kosovo
kehrt endlich auch wieder die politische Zielsetzung zurück in die Bewertung
von Auslandseinsätzen österreichischer Truppen. Zunächst nährten sich die
Einwände gegen den Einsatz im Tschad jedoch aus Bedenken, ob denn die
Ausrüstung hinreichend sei. Erst später, nachdem der Hauptausschuss des
Nationalrates die Entsendung mit den Stimmen der Koalitionsparteien bereits
beschlossen hatte, traten politische und rechtliche Bedenken hinzu. In Hinblick
auf den Kosovo lässt ein unausgesprochener politischer Konsens den
österreichischen Einsatz für alle parlamentarischen Fraktionen gerechtfertigt erscheinen.
Dieser beruht – auch in der EU – darauf, dass es sich beim Kosovo um ein
direktes Einflussgebiet handelt, für das man eben Verantwortung zu übernehmen
habe. Diese wird heute am Einsatz militärischer Kräfte gemessen, die in diesem
Fall von der NATO gestellt werden, unter denen sich auch, da ein VN-Mandat von
Anfang an vorlag, 600 österreichische SoldatInnen befinden. Zum Interesse am
Einsatz trägt bei, dass ein starkes wirtschaftliches Engagement vor Ort
besteht.
In einem ersten Schritt behandle ich die
rechtlichen Grundlagen der Aktivitäten österreichischer Truppen im Ausland
(2.), beleuchte dann aktuelle Einsatzszenarien (3.) und analysiere schließlich
welche Handlungsspielräume für
friedenspolitische Initiativen eine Rückbesinnung auf eine friedensorientierte
Sicherheitspolitik eröffnen würde (4.).
2. Rechtliche Grundlagen eines Einsatzes
österreichischer Truppen im Ausland
2.1.
Verfassungsrecht
Grundlage der Entsendungen
österreichischer SoldatInnen in das Ausland bildet das 1997 beschlossene
Bundesverfassungsgesetz vom 21.2.1997
über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und
Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG) (BGBl 38/1997), das das Entsendegesetz
von 1965 ersetzt hat. Das am 22.4.1997 mit Zweidrittelmehrheit verabschiedete
Verfassungsgesetz ist „von der Absicht getragen, für die Teilnahme an Maßnahmen
der Friedenssicherung der Organiation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE) sowie für die Durchführung von Beschlüssen der EU im Rahmen der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie zur Teilnahme an der
NATO-„Partnerschaft für den Frieden“ die entsprechenden Voraussetzungen zu
schaffen“.[1]
Einzelpersonen und Einheiten können ins Ausland entsendet werden, um
teilzunehmen bei internationalen Maßnahmen der Friedenssicherung, der
humanitären Hilfe, der Katastrophenhilfe, der Such- und Rettungsdienste, sowie
zur Teilnahme an entsprechenden Übungen und Ausbildungsmaßnahmen auch im
Bereich der militärischen Landesverteidigung.[2]
Die Bundesregierung muss im
Hauptausschuss des Nationalrates über die Auslandseinsätze des Bundesheeres das
Einvernehmen herstellen, - eine einfache Mehrheit finden! Bei Such- und
Rettungsdiensten kann der Bundesminister selbst entsenden. Zu Übungen kann die
Bundesregierung nur im Rahmen eines von der Regierung sechs Wochen vor Ablauf
des Kalenderjahres zu beschließenden Planes, über den diese unverzüglich dem
Nationalrat zu berichten hat, Entsendungen ins Ausland durchführen.[3]
Wenn humanitäre Hilfe oder Katastrophenhilfe in einer besonders dringlichen
Lage erforderlich ist, können der Bundeskanzler und der Bundesminister für
auswärtige Angelegenheiten zur Entsendung berufen. Allerdings bestehen
Berichterstattungspflichten gegenüber der Bundesregierung und dem Hauptausschuss.[4]
Die VN-Charta, Art 23f B-VG und das BVG
vom 26.10.1955 über die Neutralität Österreichs sind grundgelegter Maßstab für
die Zustimmung zu militärischen Auslandseinsätzen. Primosch/Siess-Scherz weisen darauf hin, dass „[i]n
neutralitätsrechtlicher Hinsicht […] in den parlamentarischen Materialien
ausdrücklich klargestellt [wird], dass die Ermessensausübung unter anderem
durch ‚die den Inhalt der immerwährenden Neutralität bestimmenden Normen‘ […]
determiniert wird.“[5] § 1 Z 2 KSE-BVG verweist
darüber hinaus auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs, die
Schlussakte von Helsinki und auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
der Europäischen Union auf Grund von Titel V EUV.
Die Europäisierung der Sicherheitspolitik Österreichs ist eine Tendenz, die nur scheinbar entgegen strebt. Art 23f B-VG, der die Teilnahme Österreichs an internationalen Einsätzen der EU regelt, bedeutet, dass die Mitglieder der Bundesregierung auf europäischer Ebene längst angehalten wären, die völkerrechtlich strikteren Verpflichtungen eines neutralen Staates - Kriegsverbot, Stationierungsverbot für ausländische Truppen und Bündnisverbot - auch in den nach wie vor im Entstehen begriffenen Grundbestand der Europäischen Sicherheitspolitik einzubringen.
Hinsichtlich der Zustimmung zu
Militäreinsätzen im Bereich der humanitären Hilfe, der Katastrophenhilfe, der
Such- und Rettungsdienste oder auch der Friedenserhaltung im Auftrag der VN
oder der OSZE stellen sich im Lichte der österreichischen Verfassung keine
Probleme dar. Für humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe wird in einer eigenen
Ausschussfeststellung niedergelegt, dass Waffengebrauch „lediglich zur
Selbstverteidigung und zum unmittelbaren Schutz der in eine humanitäre Notlage
geratenen Personen“ [6] zulässig ist.
Sowohl der Kosovo- als auch der
Tschad-Einsatz wurden – nicht zuletzt aus dem Grund, dass es auch zum
Waffengebrauch jenseits der persönlichen Notwehr und Nothilfe kommen kann – in
der Ministerratsvorlage als friedenssichernde Einsätze qualifiziert und so dem Nationalrat
vorgelegt und beschlossen.
Friedensschaffung im Dienste der VN oder
der als Regionalorganisation anzusehenden OSZE unterwerfen sich dem
Gewaltmonopol der VN und sind daher als Polizeiaktionen in der sich
formierenden „Weltinnenpolitik“ anzusehen.
Auch diese sind verfassungskonform. Die
aktuelle Situation, in die österreichische Einsatzkräfte entsendet werden, muss
klar genug sein, um sicherstellen zu können, dass österreichische Streitkräfte
im Zuge solcher polizeilichen Militäreinsätzen nicht in Kriegshandlungen
hineingezogen werden können. Es bedarf eines klaren Einsatzbildes mit einer
entsprechend konkreten geografischen Ortsbeschreibung und einer zeitnahen
Beschlussfassung, die durch Entwicklungen vor Ort nicht überholt werden kann,
was auch gerade im Tschad eindrücklich vor Augen geführt wurde.
Eine rechtlich kritische Zone wird im
Bereich der Friedensschaffung auf Basis von Beschlüssen lediglich der EU oder
der Nato betreten. Der Kosovo-Einsatz kann nach einer erwartbaren
Unabhängigkeitserklärung Anfang Februar in dieses Fahrwasser geraten, da die
Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates, dann wohl nicht mehr als Grundlage
angesehen werden kann.
Der Zeitpunkt für das Herstellen des
„Einvernehmens mit dem Hauptausschuss“ (§ 2 (1) KSE-BVG) für derartige Einsätze
wird im KSE-BVG nicht näher bestimmt. Für EU-Kampfeinsätze ist nach Art 23f Abs
3 B-VG im Europäischen Rat „das Stimmrecht im Einvernehmen zwischen dem
Bundeskanzler und dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten auszuüben“.
Eine vorangehende Einbeziehung des Nationalrates ist für das
Abstimmungsverhalten auf internationaler Ebene bisher nicht geregelt.
2.2.
Friedensschaffung auf Basis eines EU-Mandates
Art 23f B-VG beinhaltet auch die mögliche
Beteiligung Österreichs an „Kampfeinsätzen zur Krisenbewältigung“ wie sie auch
in Art 17 EUV zu Grunde gelegt sind. Die Notwendigkeit eines Mandates der VN
für einen solchen Kampfeinsatz ist nach derzeitiger Rechtslage auf europäischer
Ebene nicht zwingend vorgeschrieben. Ein solcher nichtmandatierter Kampfeinsatz
muss völkerrechtlich als Krieg angesehen werden und kommt daher für einen
neutralen Staat nicht in Frage. Nun hier
scheint mir der Begriff schon angemessen. Da es sich um EINGRIFF EINES STAATES
handelt. Problematisierung meint ein Festhalten im Sinne Krieg zwischen
Staaten? Dagegen spricht für mich Nichts. Aber das sollte wohl Allgemeingut
sein, oder?
Über „konstruktive Enthaltung“ (Art
23 Abs 1 Uabs 2 EUV) oder auch über ein
Veto (Art 23 Abs 1 EUV kann der neutrale Staat eine solche Kriegsbeteiligung
für sich selbst oder für die EU als Ganzes verhindern.
Nach Inkrafttreten des Reformvertrages
voraussichtlich Anfang 2009 wird die GASP auf Basis einer „strikten Einhaltung
des Völkerrechtes“ (Art 2 Z 5 EUV idF Lissabon) in „Übereinstimmung mit den
Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen“[7]
weiter entwickelt werden.Damit wird auch für die EU-Auslandseinsätze ein
VN-Mandat zur Voraussetzung. Der neue Reformvertrag geht in Art 19 Abs 2 UAbs 3
noch weiter: "Wenn die Union einen Standpunkt zu einem Thema festgelegt
hat, das auf der Tagesordnung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen steht,
beantragen die dort vertretenen Mitgliedstaaten, dass der Hohe Vertreter
gebeten wird, den Standpunkt der Union vorzutragen."
Bedenken wir, dass die Beteiligung
Österreichs an den Battle Groups erst 2012 beginnt, ist die Gefahr eines
verfassungswidrigen Auslandseinsatzes österreichischer Streitkräfte aufgrund
eines EU-Beschlusses nicht sehr hoch, außer die Regierung begibt sich mit voller
Absicht in einen solchen.
Kampfeinsätze im NATO-Verband ohne
VN-Mandat sind neutralitätsrechtlich verboten. Dies wird auch in den
Materialien zum KSE-BVG unterstrichen.[8]
Kampfeinsätze ohne VN-Mandat sind dem an die Satzung der Vereinten Nationen
gebundenen VN-Mitglied Österreich ebenso verboten. Der Verfassungsausschuss
hielt bei Beschlussfassung des KSE-Gesetzes ausdrücklich fest, dass das KSE-BVG
„keine zusätzlichen Beistandspflichten Österreichs“[9]
begründet.
Der Afghanistan-Einsatz startete im Jahr
2001 auf Basis einer VN-Resolution, die die Terroranschläge des 11.9.2001 als
„eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“
qualifiziert. Damit fühlten sich die USA legitimiert weltweit gegen Terrorismus
vlg Al Kaida vorzugehen.[10]
Dies wurde für die Intervention in Afghanistan genützt.
Die Nato hat bereits im Vorfeld dieses
Sicherheitsratsmandates erstmals in ihrer Geschichte den militärischen
Beistandsmechanismus in Kraft gesetzt – aus Anlass eines verbrecherischen
Terroraktes.
Die Erläuternden Bemerkungen des KSE-BVG
zu § 1 stellen eindeutig fest, dass „diesem Begriffsverständnis [Anm.: von Friedenssicherung]
entsprechend Maßnahmen der kollektiven Selbstverteidigung nicht als solche der
Z 1 zu verstehen sind“[11].
Auch die hL schließt daraus: „Maßnahmen der kollektiven Selbstverteidigung
[sind] nicht als Maßnahmen der Friedenssicherung zu begreifen“[12]
und können daher auch kein Gegenstand einer Truppenentsendung nach dem
KSE-Gesetz darstellen. Die Beteiligung von österreichischen Streitkräften am
ISAF-Einsatz in Afghanistan ist in diesem Lichte neu zu prüfen.
3.
Aktuelle Einsatzszenarien
3.1.
Tschad: völkerrechtskonform und dennoch umstritten
Der Einsatz im Tschad basiert auf
einem VN-Mandat und ist dennoch politisch
umstrittener als alle Auslandseinsätze seit 1997. Einerseits treten Bedenken
gegen die Machbarkeit auf. Aber vor allem zeigte sich auch bald die dünne
Rechtsgrundlage, die für solch einen Einsatz zur Verteidigung von Flüchtlingen
herangezogen wird.
Ein Bürgerkrieg, an dem sich drei
Rebellengruppen gegen das Zentralregime in N´Djamena von Idriss Deby erheben,
kann die Aufgaben des VN-Einsatzes rasch überfordern. Damit tritt die
Problematik der Hegemonie der französischen Truppen – die Hälfte der 3.700
Soldaten kommen aus Frankreich – bei dem VN-Einsatz in den Vordergrund. Tschad
war bis 1960 Kolonie Frankreichs. Wie in vielen anderen Teilen Afrikas übt bis
heute auch dort die frühere Kolonialmacht direkten Einfluss auf das politische
Geschehen aus. Leider ist europäische Afrikapolitik kaum mehr als postkoloniale
Interessenspolitik der früheren Kolonialmächte. So stützt Frankreich den in
dritter Amtszeit autoritär Regierenden Idriss Deby, nicht zuletzt durch den
Einsatz von Fremdenlegionären.
Auf diese Weise könnte es rasch zu
äußerst schwierigen Situationen für die europäisch zusammengesetzte VN-Truppe
kommen. Nun ist es richtig und wichtig, dass gerade bündnisfreie und neutrale
Streitkräfte die französische Vormacht konterkarieren. Aber müsste nicht umgekehrt
jedes andere militärische Engagement Frankreichs beendet werden, bevor der
VN-Truppeneinsatz beginnt? Könnte auf dieser Basis ein neuer Waffenstillstand
mit und zwischen den vier Rebellengruppen und Deby ausgehandelt werden? Was
jedoch, wenn das nicht passiert und wenn aus der Verteidigung von
Flüchtlingslagern plötzlich die Verteidigung der Zentralregierung gegen
Rebellengruppen aus dem Sudan wird? Der Neutrale wäre dann zum sofortigen Abzug
verpflichtet, was aber weder technisch noch politisch so rasch möglich sein
wird. Während die EU noch auf der Suche nach Transportmitteln und Feldspitälern
ist, werden die Bilder der aus Somalia abgezogenen US-Truppen im Jahr 1994
heraufbeschworen. Es wird immer deutlicher, dass es eine politische Vereinbarung
zwischen den bewaffneten Gruppen im Tschad sowie zwischen dem Tschad und Sudan
braucht, um eine erfolgreiche humanitäre Mission im Tschad auf die Schiene zu
stellen. Das wäre im Übrigen auch ein lohnendes friedenspolitisches Ziel, das
allerdings vor dem Einsatz internationaler Truppen erreicht und dann durch
diese abgesichert werden müsste. Ein solches Friedensabkommen hilft übrigens
auch für eine langfristige Friedenslösung im Sudan selbst.
3.2.
Kosovo: völkerrechtswidrig und unumstritten
Südosteuropa ist ein traditioneller
Schwerpunkt österreichischer Außenpolitik wie auch seines militärischen
Engagements. Die Frist für eine Verhandlungslösung der Zukunft des Kosovo ist
am 10.12.2007 abgelaufen. Der neugewählte Premier Thaci hat sich auf die Formel
einer „mit Brüssel und Washington koordinierten Unabhängigkeit“ festgelegt,[13]
die voraussichtlich im Februar 2008 nach der Präsidentenwahl in Serbien erklärt
wird. Während die USA bereits seit einem Jahr in Richtung „überwachter
Unabhängigkeit“ drängen, entsprechend dem Plan des Chefvermittlers Ahtisaari, bleibt die Linie der EU
uneinheitlich und unklar. Die Staaten müssen bilateral die Unabhängigkeit des
Kosovo anerkennen. Dabei senden von den EU-Mitgliedern Griechenland, Zypern,
Slowakei und Rumänien eher ablehnende Signale aus.
Die EU selbst wird sich weiterhin
diplomatischer Formeln befleißigen. Das zeigen auch Schlussfolgerungen vom Rat
im Dezember 2007, die einerseits besagt, dass sich der aktuelle Status des
Kosovo „nicht aufrecht erhalten lässt“ und andererseits eine „voll in die
Familie der europäischen Nationen
integriertes Serbien“ verwirklichen will.[14]
Die Frage der völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit eines geplanten weitergehenden
Engagements der EU und der NATO bleibt in diesem Dokument jedoch unbeantwortet.
Auch die politische Zielsetzung des Einsatzes beschränkt sich auf die doch sehr
allgemeine Formel der „Zukunft der westlichen Balkanländer in der EU“[15]
Eine Unabhängigkeitserklärung kann eine
Reihe von Problemen aufwerfen. Erstens kann die Situation im Kosovo eskalieren.
Alleine bis zu 40.000 Angehörige der serbischen Volksgruppe leben in von
Serbien abgetrennten Enklaven. Auch werden an Serbien angrenzende serbische
Bevölkerungsgebiete nach einer Unabhängigkeitserklärung de facto an Serbien
angebunden. Zweitens und genauso wichtig: es kann eine Kettenreaktion ausgelöst
werden, die zu einer Destabilisierung der Nachbarstaaten Bosnien, Serbien,
Montenegro und Mazedonien führen kann. Die Frage neuer Grenzziehungen, die mit
Dayton in der Region abgeschlossen sein sollte, wird damit neu aufgemacht.
Da
die USA und auch wichtige europäische Staaten bereits die Anerkennung der
Unabhängigkeit angekündigt haben, kann die VN-Sicherheitsratsresolution 1244,
die noch die Unversehrtheit des serbischen Territoriums zu Grunde legt, kaum
ernsthaft als Basis für einen weiteren Einsatz der NATO - und der EU – angesehen werden. Auch die Frage
einer völkerrechtlich abgesicherten Überwachung der Unabhängigkeit zugunsten
der Minderheiten bleibt in den Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen
Union ausgespart. Dass gerade der Schutz der serbischen Minderheit eine Basis
für ein neues Mandat, dem auch Russland und China zustimmt, und die Überwachung
und der Schutz bedrohter Minderheiten auf das sich das UN-Einsatzmandat konzentrieren
ließe, stabilisierend wirkt, bleibt in diesem Ratsbeschluss, der den zivilen
Einsatz beinhaltet und den NATO-Einsatz implizit unterstützt, unerwähnt.
Aus Gründen der Sicherheit und Stabilität
im Kosovo ist eine Fortsetzung des Einsatzes von Streitkräften gerade in dieser
kritischen Phase jedenfalls geboten. Für das kleine und benachbarte Österreich,
dass auch historisch in der Region nicht unbelastet ist, wäre eine rasche
Anerkennung der Unabhängigkeit eher nachteilig. Österreich soll da kein
Vorreiter sein, wird sich aber letztlich auch nicht verweigern können.
Österreich muss in dieser kritischen
Phase vor allem folgende Aspekte – auch auf europäischer Ebene – betonen:
-
die völkerrechtliche Basis des Truppeneinsatzes
und der Umgang mit dem alten bzw der Versuch der Erlangung eines neuen
VN-Mandates;
-
die Stabilität im Kosovo und der
Nachbarregionen;
-
der Schutz von Minderheiten, die von einer
nationalistisch aufgeheizten Unabhängigkeitsbewegung nicht vertrieben werden
dürfen, sowohl in den mehrheitlich albanisch als auch in den serbisch bewohnten
Gebieten;
-
sowie die Fortsetzung seiner normalisierten
Beziehungen zu Belgrad.
Gibt es keine neue
völkerrechtliche Basis kommen die Truppen des Neutralen in eine
unersprießliche Legitimationsproblematik. Spätestens bei Ausbruch von
hoffentlich abwendbaren Kriegshandlungen müssten die österreichischen Truppen
aus dem Kosovo abgezogen werden. Ehrlicher wäre da dann ein Abzug, sobald die
Unabhängigkeit erklärt und die völkerrechtliche Basis wegbrechen sollte.
Die Umsetzung des oben angeführten
Maßnahmenkataloges wäre mit der österreichischen Verfassungslage vereinbar und
gäbe dem Militäreinsatz auch ein friedenspolitisches Ziel. Auf diese Weise
könnten auch potenziell destabilisierende Folgen für andere Staaten in der
Region eingedämmt werden.
4.
Schlussbemerkung
Regelungsbedarf herrscht im KSE-BVG
hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens der österreichischen VertreterInnen bei
(Kampf)Einsätzen ohne VN-Mandat im Europäischen Rat. Dieser Fall tritt nun im Kosovo
erstmals auf. Der Rat beschloss am 14./15.12.2007 für den Fall der
Unabhängigkeitserklärung den Einsatz ziviler Kräfte zu übernehmen, ohne den
Umgang mit dem Problem des Sicherheitsratsmandates auch nur zu erwähnen. Zum
Nato-Einsatz schwieg sich die EU aus.
Da durch das Abstimmungsverhalten im
Europäischen Rat auch im Vorhinein eine Festlegung für eine etwaige Beteiligung
Österreichs erfolgt, muss der Nationalrat bereits vor derartigen europäischen
Entscheidung eingebunden werden; ansonsten wird sein verfassungsrechtlich
zugesichertes Mitwirkungsrecht zur Farce. Überdies fehlt im KSE-BVG eine
Regelung hinsichtlich des geografischen Raumes und der Funktion der
Einsatzkräfte. Auch eine Regelung, die eine zeitliche Nähe zwischen Beschluss
und Entsendung gewährleistet, fehlt. Bei Krisen- und Kampfeinsätzen stellt das
einen Mangel dar, der im Gesetz behoben werden muss, da erst dadurch dem aus
der Neutralität erwachsenden Kriegsteilnahmeverbot Rechnung getragen werden
kann – wie auch die beiden aktuell diskutierten Beispiele zeigen.
Im Art 23f B-VG sollten zwei Änderungen
vorgenommen werden, um das Spannungsfeld von Europäisierung und Neutralität
klarer zu regeln: Erstens bedarf es eines expliziten Hinweises auf das
Vorliegen eines VN-Mandates und zweitens eine Klarlegung, dass sich
österreichische SoldatInnen im Falle von Auslandseinsätzen weiterhin an keinen
Kriegen beteiligen werden.
Abschließend ist zu bemerken, dass der
Glauben an die Durchsetzung strategischer Interessen durch das Militärs, der
von der technischen Entwicklung einerseits und der politisch hegemonialen
Stellung der USA andererseits genährt wurde, durch den Verlauf der Kriege in
Afghanistan und im Irak relativiert wurde.
In diesem Licht steht auch eine Änderung
der Akzentsetzung in der Debatte über humanitäre Intervention auf der
Tagesordnung. Es wird auch hier klarer, dass nicht jedes Regime durch
militärische Mittel der Staatengemeinschaft zu Wohlverhalten gezwungen werden
kann. Es steht zu hoffen, dass die Schlussfolgerung nicht lautet, sich von den
größten Menschenrechtsverletzern der Weltpolitik abzuwenden und diese wieder zu
vergessen, sondern dass vorbeugende politische und rechtliche Mittel wieder
stärker berücksichtigt werden. Seit Zusammenbruch des Warschauer Paktes sind
einige Fortschritte realisiert worden, darunter die konsequentere Verfolgung
von KriegsverbrecherInnen durch VN-Tribunale und die Einrichtung des
Internationalen Strafgerichtshofes. Auf VN-Ebene wird weiters eine
Schutzverantwortung (Responsibility to
protect) als zukunftsträchtiges
und konsensfähigeres Konzept einer Interventionspflicht zum Schutz der
Menschenrechte gegenübergestellt.
Der Krieg gegen den Terror sollte gerade
von der Europäischen Union als untaugliches Mittel zurückgewiesen werden. Die
entsprechenden Passagen im Reformvertrag, die einerseits die Unterstützung von
Drittstaaten im Kampf gegen Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet (Art. 28b Abs 1
EUV idF Vertrag von Lissabon) und andererseits die Abwehr von terroristischen
Bedrohungen auf dem Unionsgebiet (Art. 188 r Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union idF Vertrag von
Lissabon) zum Gegenstand haben, sind da natürlich genau das verkehrte Signal.
Davon wird sich die USA in ihrer Linie eher bestärkt sehen. Aber vielleicht
kann schon in der nächsten Vertragsrevision diese militärische Orientierung der
Terrorbekämpfung wieder ersetzt werden durch polizeiliche Instrumentarien.
Für neutrale Kleinstaaten wie Österreich
könnte diese Besinnung auf politische Mittel neue Handlungsspielräume für
friedenspolitische Initiativen eröffnen. Davor müsste jedoch die
Sicherheitsdoktrin im Windschatten der NATO beendet werden,[16]
die Sicherheitspolitik Österreichs im europäischen Kontext neu definiert werden
und nicht zuletzt auch die Aufgaben im Rahmen der Europäischen Union stärker
friedenspolitisch verankert werden. Dieser Paradigmenwechsel müsste von der
Unterstützung der VN bis zur Durchsetzung der Kriterien der Friedenspolitik des
Neutralen in der Union reichen. Das hieße einen einseitigen Gewaltverzicht der
EU und der Verzicht auf die Stationierung fremder Streitkräfte auf dem Gebiet
von Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Peter
Steyrer ist EU-Koordinator im Grünen Klub im österreichischen Nationalrat;
peter.steyrer@gruene.at
[1] Erläuterungen zur RV, 503 dB zd
Sten Prot XX. GP des NR 1996, 5.
[2] Vgl § 1 Z 1f
KSE-BVG.
[3] § 2 Abs 3
KSE-BVG.
[4] § 2
Abs 5 KSE-BVG. Vgl Primosch/Siess-Scherz,
Auslandsentsenderecht KSE-BVG (1997) 17.
[5] Primosch/Siess-Scherz; Auslandsentsenderecht 15.
[6] Bericht des Verfassungsausschusses,
657 dB zd Sten Prot XX.GP des NR 1996, 2f.
[7] Art 28a Abs 1 EUV idF
des Reformvertrages von Lissabon. Weiterentwickelt? Ja jedenfalls da dzt. die
Formulierung gilt „im Einklang mit den Grundsätzen...“, was weniger
stark ist. UND: Art. 2 Z 5 bekennt sich „zur strikten Einhaltung und
Weiterentwicklung des Völkerrechtes“
Dort heißt es: „Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist
integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie
sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Fähigkeit
zu Operationen. Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur
Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen
Sicherheit in Übereinstimmung mit den
Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückgreifen.“
[8] Dort wird ausdrücklich
klargestellt, „dass die Ermessenausübung unter anderem durch „die dem Inhalt
der immerwährenden Neutralität bestimmenden Normen“ determiniert wird.
Erläuterungen zur RV 503 dB zd Sten Prot XX.GP des NR 1996, FN g S. 8. s. hierzu auch die herrschende Lehre, etwa
bei Verdross, Die immerwährende Neutralität Österreichs, 1977, S.34, wonach die
Neutralitätspflichten in Art. I des BVG vom 26.10.1955 über die Neutralität
Österreichs BGBl. Nr. 211/1955, teils ausdrücklich, teils einschlußweise
niedegelegt sind und durch die Regeln des Völkerrechts bestimmt werden.“
Primosch/Siess-Scherz 1997,15.
[9] Bericht des
Verfassungsausschusses, 657 dB zd Sten Prot XX.GP des NR 1996, 2.
[10] VN-Sicherheitsrats-Resolution
1368 vom 12.9.2001 und 1386 vom 20.12.2001.
[11] Erläuterungen zur RV 503 dB zd
Sten Prot XX.GP des NR 1996, 7.
[12] Primosch/Siess-Scherz, Auslandsentsenderecht (1997) 20.
[13] Der Standard, 17.11.07, 4
[14] Rat der EU: „Schlussfolgerungen des Vorsitzes
“, 14.12.2007, 16616/07, 19 f
[15] ebd.
[16] Zu einer Doktrin
menschlicher Sicherheit für die EU vgl Glasius/Kaldor (Hrsg), A Human Security Doctrine
for Europe. Projects, Principles, Practicalities (2006) und den
nachfolgenden,Madrid-Bericht der Human
Security Study Group,