Helmut Kramer, Andrea Stangl
Zum Österreich-Diskurs in
Frankreich: Rechtsextremismus und Krise der Demokratie
(Austriaca, Nr. 67/68, 2009)
„Il s’est battu pour l’Autriche.
Laquelle? Celle des clichés fortement ancrés dans l’image courante de
l’Autriche où règnent Sissi, la valse viennoise et les montagnes tyroliennes?
C’est le sous-titre un peu
laborieux d’AUSTRIACA – Cahiers universitaires d’information sur l’Autriche
– qui fournit la réponse: information et non pas mythe et cliché ... La
revue de Félix Kreissler n’a jamais cédé au mythe ni à la mode de l’Autriche.“[1]
Wie ein Land von außen wahrgenommen wird, welches Ansehen es hat, welchen Stereotypen und Zuschreibungen es unterliegt, hängt maßgeblich von politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, Skandalen und Moden ab. Wie rasch hier eine Veränderung stattfinden kann, zeigt sich am Beispiel von Österreichs Image in Frankreich, das mit der Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten fast schlagartig ins Negative gedriftet ist. Stellten die Herausgeber einer Festschrift für Felix Kreissler bei ihrem Erscheinen Ende 1985 noch fest, dass „à la chimère politique d’un ‚modèle autrichien’ (due à une méconnaissance profonde des réalités autrichiennes) a succédé une véritable fièvre viennoise allant jusqu’à une nostalgie morbide“[2], so wurde wenige Monate später die Adresse des damaligen österreichischen Kulturinstituts, wo die Festschriftüberreichung stattfand, am Boulevard des Invalides fast zum Programm der französischen Berichterstattung über Österreich als quasi politisch „invalides“ Land, das die Nichtaufarbeitung seiner braunen Vergangenheit zum obersten Gebot erhoben hätte.
Der Wandel vom einstigen „enfant chéri“[3] zum „pays pourri“ mit seinen historischen Leichen im Keller vollzog sich innerhalb kürzester Zeit, das Image des Verdrängerlandes – „l’Autriche oublieuse“[4] – hält nun jedoch seit 23 Jahren ungebrochen an. Die politischen Ereignisse in Österreich mit den Wahlergebnissen seit 1986, als Jörg Haider mit der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) zu seinem fulminanten Höhenflug ansetzte, liefern nun regelmäßig jenen Stoff, aus dem Österreichs Image-Albträume sind.
In Frankreich reagierten die Medien schärfer als in anderen Ländern auf den Erfolg Haiders, entsprechend erreichte die kritikbeladene Berichterstattung über Österreich ihren Höhepunkt zum Zeitpunkt der Regierungsbildung im Jahr 2000, als die ÖVP (Österreichische Volkspartei) mit der Haider-Partei eine Koalition bildete. Man befürchtete ein Übergreifen des „l’effet Haider“[5] auf Europa, insbesondere auf Deutschland aber auch auf Frankreich, wo „l'extrême droite française se réjouisse du brevet d'honorabilité donné au chef de l'extrême droite autrichienne et tente d'exploiter la situation à son avantage“.[6]
Es überrascht daher nicht, dass die jüngsten Wahlerfolge der offen mit rassistischen Parolen operierenden Parteien von BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich[7]) und FPÖ bei den Nationalratswahlen Ende September 2008, bei den Landtagswahlen im Frühjahr 2009 und bei den Europa-Wahlen im Juni 2009 von den französischen Medien wiederum als Folge und Ausdruck einer politischen Kultur in einem Land, „qui s’est toujours refusé à faire les comptes avec son passé nazi“[8] interpretiert wurden. Tatsächlich waren die Zugewinne von FPÖ und BZÖ mehr als bemerkenswert: Ein Plus von 13% machte das Dritte Lager nach den Nationalsratswahlen 1999 nun zum zweiten Mal zur zweitstärksten Kraft in Österreich, knapp jede/r zweite Kärntner WählerIn gab bei den Landtagswahlen im März 2009 dem BZÖ oder der FPÖ die Stimme, was dem durch den selbstverschuldeten Autounfall zu Tode gekommenen Ex-Landeshauptmann Haider einen Rekordwahlsieg aus dem Jenseits bescherte. Spektakulär war der Absturz der früheren Großparteien, SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) und ÖVP. Die SPÖ verlor viele WählerInnen aus der Arbeiterschaft an die FPÖ und das BZÖ und unterschritt zum ersten Mal in der Geschichte der 2. Republik die 30%-Marke. Auffällig war das Stimmverhalten der JungwählerInnen: Wie bereits bei den Wahlen im Jahre 1999 erreichte die FPÖ den größten Anteil, zusammen mit den Stimmen an das BZÖ avancierte das rechtsextreme Lager im Segment der Unter-30-Jährigen zur stärksten Kraft.[9] Der Abwärtstrend für SPÖ und ÖVP setzte sich bei den Europa-Wahlen im Juni 2009 fort. Während die ÖVP ihre Verluste relativ niedrig halten konnte, erreichte die SPÖ mit nur 23% Stimmanteil auf nationaler Ebene einen historischen Tiefstand.
Allen Wahlergebnissen ist gemeinsam, dass Proteststimmen in Österreich – vor allem in Krisenzeiten – nach rechts gehen, ein Potential für explizit linke Positionen und Parteien ist in der österreichischen Bevölkerung praktisch nicht vorhanden. Auch die Grünen bieten für den Großteil der Wählerschaft offensichtlich keine attraktiven Gegenentwürfe zu SPÖ/ÖVP und stagnierten oder verloren an Stimmen.
In den französischen Printmedien[10] dominierte jene Fokussierung auf Österreich als „braunes“ und rechtsextremes Land, die die Berichterstattung seit 1986 prägt. Libération schreibt von einer „piste brune en Autriche“[11] und übertitelt die Nachricht vom Unfalltod Haiders mit „Jörg Haider, le bronzé de l'extrême droite autrichienne“[12], L’Humanité berichtet von einer „nouvelle déferlante brune“[13], und Le Figaro formuliert markig: „L'extrême droite autrichienne bombe le torse“.[14]
Gibt man innerhalb der Online-Archive französischer Zeitungen den Suchbegriff „Autriche“ ein und reiht die Ergebnisse nach Relevanz („pertinence“), so finden sich zahllose Artikel über Jörg Haider an vorderster Stelle. Haider, der „facho [qui]’ était chauffard“[15], wurde auch in Frankreich zum Medienstar, verstärkt noch durch seinen spektakulären Unfalltod. Die französischen Medien waren somit ebenfalls Teil jenes Spiels von Haider „das im immer schnelleren Transfer das private Leben eines politischen Meinungsbildners der Öffentlichkeit zugänglich machte. In der Konsequenz, mit der Haider sich selbst als Marke erfand, verwarf, wieder neu erfand und in den Medienmarkt einspeiste, war er allen seinen Konkurrenten weit voraus“.[16] Die wohl berechtigte kritische Anmerkung, dass das Haider-Begräbnis – „une cérémonie retransmise en direct à la télévision publique“[17] – quasi zum Staatsakt geriet, geht jedoch einher mit der Verwendung zahlreicher Haider-Videos und Photostrecken auf den Online-Seiten der französischen Medien.[18] Damit gilt auch für Frankreich das, was Anton Pelinka für die österreichischen Medien konstatierte, die „Haider nicht seiner Inhalte wegen [liebten], eher im Gegenteil, viele haben kritisch berichtet. Aber sie haben ihm, dem Unterhalter, erst seine große Bedeutung verliehen.“[19]
Insgesamt bleibt die Berichterstattung über die österreichische Politik bis auf wenige Ausnahmen auf einem undifferenzierten und zum Teil auch fehlerhaften Niveau: „L’Autriche“ und „l'extrême droite“ werden unisono beinahe schon zum Begriffspaar stilisiert, Zuschreibungen erfolgen auf pauschale Art und Weise („Jörg Haider est mort et l'Autriche est en deuil“[20]), Wahlergebnisse für die rechten Parteien werden (zufällig?) grundsätzlich aufgerundet, teilweise in großzügiger Manier um mehrere Prozentpunkte.[21] Nach den EU-Wahlen fragt der Sozialwissenschafter Jérôme Segal in einem Humanité-Gastkommentar: „L’Autriche fait peur. Pourquoi l’extrême droite autrichienne a-t-elle triplé ses voix?“[22] Nicht erwähnt wird, dass FPÖ und BZÖ zusammen mit 16,3% der Stimmen deutlich unter dem – nach den Erfolgen in den vorangegangenen Wahlen – prognostizierten und befürchteten Ergebnis blieben. Segal zitiert weiters durch neuere Forschungsergebnisse bereits überholte Zahlen, die belegen sollten, dass ÖsterreicherInnen gemessen an der Bevölkerung im Vergleich zu Deutschland überproportional an den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt gewesen seien.[23]
Die Analyse der Artikel über Österreich in den französischen Printmedien bestätigt weitgehend das, was Felix Kreissler in einer Diskussion im Jahr 2000 feststellte, „dass der überwiegende Teil der französischen Berichterstattung über Österreich schwere historische Fehler aufweise. Er habe daher immer noch den Eindruck, dass Österreich nach wie vor in der französischen Intelligenz und interessierten Öffentlichkeit eine terra incognita sei.“[24]
Vor allem aber wird in der Analyse der Wahlergebnisse kaum ein seriöser Versuch unternommen, auf die Motive der WählerInnen einzugehen, die Ergebnisse werden auf Österreichs Geschichte als Land mit den braunen Flecken reduziert und bieten so nur unzureichende und plakative Erklärungen für den Rechtsruck, dessen Ursachen weit komplexer sind, wie nachfolgend noch dargestellt werden wird.
„Der Schoß ist fruchtbar, aus dem es kroch ...“ (Felix Kreissler)[25]
Unbestritten ist, dass das Anstreifen an nationalsozialistisches Gedankengut ein dominantes Merkmal der politischen Kultur Österreichs nach 1945 darstellt: „Es gibt sicherlich manche Kontinuitäten; insofern sollte man in Österreich nicht überrascht sein: Koketterie und Spiel mit dem NS-Jargon und der NS-Ideologie, kalkulierte Ambivalenz und Mehrfachadressierung, simplizistische Dichotomisierung zwischen ‚Uns’ und dem ‚Anderen’, die Suche nach Sündenböcken und damit nach einfachen Antworten – all dies ist uns seit langem gut bekannt, systematisch analysiert und vielfach dokumentiert.“[26]
Der einigende Nationalkonsens nach der Kriegsniederlage war die Opferrolle und die Abgrenzung von Deutschland als Land der Täter, nie jedoch eine durchgehende, entschiedene Abgrenzung nach rechts. Zurücktreten mussten österreichische PolitikerInnen wegen antisemitischer Äußerungen kaum, eine Ausnahme war der ÖVP-Generalsekretär Michael Graff. Seine Aussage im Präsidentschaftswahlkampf 1986 über Waldheim „Solange er nicht sechs Juden eigenhändig erwürgt hat, ist er jedenfalls unschuldig“ kostete ihn seinen Posten.[27]
Haiders antisemitische Provokationen und seine xenophobe Politikausrichtung stehen daher in einer Tradition, er ist nicht ihr Erfinder und auch nicht der Wegbereiter, er hat sie nur geschickt – unter Ausnützung der Medien – vermarktet. SPÖ und ÖVP haben, je nach politischer Lage, nicht gezögert, mit Haiders FPÖ zu kooperieren, zuerst auf Landesebene, dann ab dem Jahr 2000 auch auf nationaler Ebene. Es gelang Haider das, was er als Programm für sich und seine Partei definiert hatte, nämlich „sie [die Regierungsparteien, Anm. d. AutorInnen] vor uns her[zu]treiben wie die Hasen“[28]. Es war schon in den frühen 1990er Jahren, als SPÖ-Politiker bezüglich Zuwanderung von einem „vollen Boot“ sprachen und die restriktive Politik gegenüber AusländerInnen unter einem sozialdemokratischen Innenminister eingeleitet wurde, was dann von ÖVP-MinisterInnen fortgesetzt wurde, sodass Österreich eines der schärfsten Asyl- und Niederlassungsgesetze innerhalb der EU hat.
Die Empörung von SPÖ und ÖVP über xenophobe Parolen der rechtsextremen Parteien, FPÖ und BZÖ, ist daher als Abgrenzung nach rechts weder schlüssig noch wirklich glaubwürdig. Mit Stimmen von SPÖ- und ÖVP-Abgeordneten wurde der FPÖ-Politiker Martin Graf, Mitglied einer Burschenschaft, die vom Innenministerium 1994 als Kaderschmiede rechtsextremer Gesinnung eingestuft wurde[29], im Oktober 2008 zum Dritten Nationalratspräsidenten gewählt. Graf, der nach eigener Aussage in die Politik gegangen ist, um seine „Kameraden- und Wertegemeinschaft mehrheitsfähig zu machen“ erklärte, dass er auch nichts „vom so genannten antifaschistischen Grundkonsens“ halte, weil dieser Begriff „nicht identitätsstiftend sei“[30]. Dies steht beispielhaft für rechtsextreme und rassistische Ausfälle von einzelnen Mitgliedern der FPÖ und des BZÖ, die keineswegs als „Ausrutscher“ sondern als Teil einer gezielten, provokativen Propaganda zu sehen sind und für die eine Subsumierung unter „Rechtspopulismus“ eine völlig unzulässige Verharmlosung darstellt.
Heinz-Christian Strache treibt nun als Parteiobmann seit 2005 die FPÖ systematisch weiter in Richtung rechtsextrem: Die Parteifunktionäre kommen in großer Dichte aus dem rechtsextremen Lager der deutschnationalen Burschenschaften[31], Kontakte zu internationalen „Gesinnungsgemeinschaften“ wie zur Front National und zum belgischen Vlaams Belang werden unverhohlen gepflogen, was auch im mehrfachen Versuch der Bildung einer rechtsradikalen Fraktion im Europa-Parlament seinen Ausdruck findet. „Nicht die Wähler [...] sondern die Parteifunktionäre seien das Problem. Sie distanzierten sich zwar formal vom Nationalsozialismus, aber wenn man an der Oberfläche kratze, kämen die ‚Kellernazis’ hervor.“[32], meinte nach den letzten Nationalratswahlen der Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant. Inzwischen liefern in immer kürzeren Abständen rechte Hardcore-FPÖ-PolitikerInnen Aussagen, die die nationalen und auch internationalen Medien füllen. Wenn der Vorarlberger FPÖ-Landesparteiobmann Dieter Egger in einer Wahlkampfveranstaltung im August 2009 unter dem Applaus von 400 johlenden SympathisantInnen den Direktor des jüdischen Museums in Hohenems, Hanno Loewy, als „Exil-Juden aus Amerika in seinem hochsubventionierten Museum“[33] bezeichnet, so „ist [das] ja nicht neu. Freiheitliche sind antisemitisch und rassistisch, sie sind das in Wien und Vorarlberg, manchmal vorsichtiger, manchmal direkter. Scheinheilig ist es, so zu tun, als wüsste man das nicht. Wer mit den Rechtsaußen der FPÖ kuschelt, trägt dazu bei, deren Geisteshaltung und Menschenverachtung salonfähig zu machen. Das gilt [...] für die ÖVP, das gilt aber auch für die SPÖ, die mit der FPÖ politische Geschäfte macht und sich dann wundert, wenn wieder einer rülpst.“[34]
Wenn der Rechtsextremismus unter Haider „verflüssigt“ schien, so nimmt er unter Strache wieder feste Formen an. Strache habe „zwar nicht das Charisma von Haider [...], aber dafür ist er frei von Jörg Haiders größter Schwäche, der Tendenz zur Selbstzerstörung. [...] Gleichzeitig besitzt er eine Reihe von Haiders Qualitäten: Er sieht so aus wie Haider einmal früher ausgesehen hat – fesch, [...] mit leise[m] Vorstadtcharme [...]. Das zieht bei 16-jährigen Neu-Wählern ebenso wie bei Schwiegermüttern. [...] Und er besetzt das wichtigste der klassischen Haider-Themen –„Ausländer“ – mit fast noch größerer Aggressivität. Aber auch als Streiter gegen ‚Privilegien’ und vor allem gegen ‚Brüssel’ steht er ihm in nichts nach.“[35]
Straches Strategie scheint aufzugehen: Bei allen Wahlgängen gewinnt die FPÖ, „das Thema „Ausländer(innen)feindlichkeit bestimmt nicht nur die alltagspolitische Polemik, sondern auch die grundsätzliche Haltung der Menschen massiver und nachhaltiger als bisher vermutet“[36], wie es eine im Juni 2009 erschienene Wertestudie belegt. Das Motivbündel dafür sei „relativ undifferenziert aus der Sorge um die nationale und eigene Sicherheit sowie die ökonomisch-finanzielle Situation im Land, aus allgemeinen Fremdheitsgefühlen und anderen diffusen Befürchtungen“[37] gespeist. Dennoch ist festzustellen, dass es zur Zeit keinen gewaltbereiten Kern in Österreich gibt, „[d]er ist vermutlich sogar schwächer ausgebildet [...] als in vielen anderen europäischen Staaten. Aber es mangelt vor allem an einer klaren gesellschaftlichen Abgrenzung gegenüber nationalistischen Ressentiments.“[38]
Die „Selbstentmächtigung der Politik“
Der ausschlaggebende Faktor für die schweren Verluste der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP in den letzten Wahlgängen war nicht, dass FPÖ- und BZÖ-WählerInnen in ihrer Mehrheit (neo)nazistisch wären, sondern es war die Unfähigkeit der Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP, den durch die Verschlechterung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation, die Krise des Bildungssystems und durch die zunehmende Kriminalität verunsicherten WählerInnen überzeugende Lösungsansätze und glaubhafte Alternativen zu bieten. So argumentiert die Politologin und langjährige ORF-Journalistin Trautl Brandstaller: „Haider und Strache offerieren neo-nationalistische und rassistische Scheinantworten [...] Wenn fast ein Drittel der Wähler auf diese falschen Antworten hereinfällt, dann nicht, weil die Österreicher wieder einmal von ihrer Nazi-Vergangenheit eingeholt werden, sondern weil die anderen Parteien diese Fragen [soziale Fragen, Integrationsproblematik u.a., Anm. d. AutorInnen] ignorieren oder ähnliche Scheinantworten bieten, wie die Rechtspopulisten.“[39]
Die beiden Regierungsparteien, SPÖ und ÖVP, hatten sich in den Jahren 2006 bis 2008 statt dringend notwendige Reformen in Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bildungs- und Integrationspolitik voranzutreiben und durchzusetzen, fast in allen wichtigen Fragen gegenseitig blockiert. So war die SPÖ, die nach sechs Jahren Opposition unter der Führung von Alfred Gusenbauer im Herbst 2006 in die Regierung zurückgekehrt war und nun wieder den Bundeskanzler stellte, offensichtlich nicht imstande, in der Koalition mit der ÖVP ihre Wahlversprechen einzulösen und die unter den vorangegangene Rechtsregierungen (ÖVP-FPÖ/BZÖ 2000 - 2006) massiv betriebene Demontage sozialer Leistungen in Richtung eines Staates neoliberaler Prägung zu stoppen.[40] Es fehlt(e) der für eine Veränderung erforderliche Mut und Wille, für ein politisches Projekt für mehr Demokratie und die Verteidigung der sozialen Errungenschaften einzutreten. „Die SPÖ“ – so ein Funktionär der Wiener SPÖ – „kann bei Konflikten um Sachthemen nicht glaubwürdig mit einer öffentlichen Konfrontation, geschweige denn mit einem Koalitionsbruch drohen, weil alle Akteure/innen wissen, dass die handelnden Personen rund um Alfred Gusenbauer im Fall der Fälle lieber ihren Posten behalten, als für eine Überzeugung ein Risiko einzugehen.“[41]
Das Fehlen einer aktiven und gestaltenden Politik, die vor allem in Krisenzeiten notwendig ist bzw. gefordert wird, in der nicht nur bloß reagiert oder – wie dies die charakteristische Haltung der seit Herbst 2008 im Amt befindlichen SPÖ-ÖVP-Regierung unter Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll ist – moderiert wird, ist nun keineswegs ein österreichisches Spezifikum. Auch in anderen europäischen Ländern ist eine „Selbstentmächtigung der Politik“ (Armin Thurnher)[42] und die daraus resultierende Legitimations- und Vertrauenskrise in Politik und politischen Repräsentanten zu konstatieren und zum Teil, wie etwa im Berlusconi-Italien, noch weiter fortgeschritten. Diese Entwicklung hat ihren wichtigsten strukturellen Grund in der seit den 1980er Jahren zunehmenden Unterordnung der Politik unter die Imperative der Wirtschaftsinteressen und der Wirtschaftslobbys, wodurch „die Chancen schlecht [stehen] für egalitäre politische Projekte zur Umverteilung von Wohlstand und Macht sowie die Eindämmung mächtiger Interessengruppen.“[43] Die Dominanz von PR-Experten und eine durch Massenmedien verstärkte Personalisierung lassen die Wahlkämpfe zu inhaltsleeren Spektakeln verkommen. Die Mehrheit der „Normal“bürgerInnen hat keine wirkliche „Gelegenheit [...], sich durch Diskussionen und im Rahmen unabhängiger Organisationen aktiv an der Gestaltung des öffentlichen Lebens zu beteiligen“.[44] In diesem Kontext „geht der Gestaltungsanspruch sozialer und demokratischer Politik verloren. [...] Die Krise der Repräsentation wird von rechtsextremen Kräften aufgenommen, ohne Perspektive einer wirklichen Bearbeitung. Das macht auch die propagandistische Stärke von FPÖ und BZÖ aus. Sie brüllen ihre rassistisch codierte, fundamental-opportunistische Alternativlosigkeit laut heraus.“[45]
Diese internationalen Entwicklungen – ideologisch untermauert durch den Ruf der Neoliberalen nach dem Abbau des Staates –, die die Handlungsfähigkeit von Regierungen und demokratischen Parteien lähmen und das politische Potential von rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien anwachsen lassen, werden nun in der österreichischen Politik durch einige „hausgemachte“ Faktoren und Tendenzen verstärkt. Drei Problembereiche werden im Folgenden näher beleuchtet: Erstens die strukturkonservative Ausrichtung der organisatorisch schrumpfenden früheren Staats- und Großparteien SPÖ und ÖVP bzw. der Gewerkschaften bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines Systems von parteipolitischen Postenbesetzungen und einer im Vergleich mit anderen Ländern exorbitanten öffentlichen Parteifinanzierung. Zweitens die Medienlandschaft, die durch die enorme Macht der Kronen Zeitung eine veritable Gefahr für die demokratische politische Kultur des Landes bedeutet und schließlich drittens die sehr wenig positive Bilanz der österreichischen EU-Mitgliedschaft, die es FPÖ und BZÖ leicht macht, Teile der Bevölkerung mit ihrer aggressiven EU-Kritik anzusprechen.
Parteidominanz und Parteiproporz im öffentlichen Leben
Die Kritik von FPÖ und BZÖ an den „Altparteien“ (Jörg Haider), die in der Bevölkerung starke Resonanz findet, konzentrierte sich vor allem auf die Praktiken von SPÖ und ÖVP bei der Besetzung von Spitzenfunktionen in der Verwaltung und in staatsnahen Wirtschaftsunternehmen. Die Dominanz von SPÖ und ÖVP in den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik – bis Anfang der 1980er Jahre stimmten über 90% der WählerInnen für eine der beiden (damals noch) Groß-Parteien – stützte sich vor allem auf eine lückenlose parteipolitische Durchdringung und Durchorganisierung der österreichischen Gesellschaft. Anfang der 1980er Jahre war noch fast ein Viertel der österreichischen WählerInnen Mitglied von SPÖ oder ÖVP, und über 60% der ArbeitnehmerInnen gehörten dem – überparteilichen – Österreichischen Gewerkschaftsbund an. Die SPÖ schrumpfte in den letzten 20 bis 25 Jahren von über 700 000 auf unter 300 000 Mitglieder, und gegenwärtig sind auch nur mehr 35% der ArbeitnehmerInnen gewerkschaftlich organisiert. Dass überhaupt noch 15% von Österreichs Wählerschaft Parteimitglieder sind, ist vor allem auf den Mitgliederstand der ÖVP, die im Jahr 2005 eine Zahl von 630 000 Mitgliedern angibt, zurückzuführen.[46] Und es ist vor allem einer der drei „Bünde“ der ÖVP, der Bauernbund, aus dem die Hälfte der Mitglieder kommt[47] und der den vorangegangenen (Molterer) und gegenwärtigen Parteivorsitzenden stellt. „Pröll setzt weiter auf die eingefahrene bündische Struktur und besetzt so auch die Ämter der Partei, ein Prinzip aus dem Jahr 1945, mit dem man heute nicht [mehr] reüssieren [könne].“[48] Der Bauernbund ist eng mit einem der wichtigsten und modernst organisierten Machtzentren der österreichischen Gesellschaft und Politik, dem Raiffeisenkonzern, verflochten.[49] Die stark traditionalistische Haltung von SPÖ und ÖVP wird auch dadurch verstärkt, dass PensionistInnen/RentnerInnen 50% ihrer WählerInnenschaft ausmachen.
Trotz des spektakulären Rückgangs an Parteimitgliedern kam es zu keinem Rückbau der im Vergleich zu anderen Ländern enorm großen und finanziell aufwändigen Parteiapparate in den Wiener Zentralen und auch in den Bundesländern. Der Rückgang an Mitgliedsbeiträgen wurde durch eine ständig zunehmende staatliche Finanzierung der Parteien (wovon auch die FPÖ, das BZÖ und die Grünen profitierten) kompensiert, womit Österreich zurzeit unter allen EU-Ländern den ersten Rang in der staatlichen Parteiförderung einnimmt. Die beträchtlichen Zuwendungen durch die österreichischen Interessensvertretungen und durch private Großspender, sind – im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern – nicht öffentlich ausgewiesen und bleiben damit anonym.
Obwohl also mit Ausnahme von Bauernbund und Beamtengewerkschaft die Dominanz der sozialdemokratischen und der christlichsozialen Partei sowie des Österreichischen Gewerkschaftsbundes durch den massiven Mitgliederrückgang signifikant abgenommen hat, lebt die Praxis, wichtige Positionen in staatsnahen Unternehmen, in den Ministerien und auch in den Schulen durch Parteimitglieder bzw. Mitglieder von Personal-„Seilschaften“ zu besetzen, im Wesentlichen ungebrochen weiter. Der Aufstieg der FPÖ war maßgeblich auf die scharfe Kritik am „Postenschacher“ von SPÖ und ÖVP zurückzuführen, und Jörg Haider erwies sich in der medialen Inszenierung dieser Angriffe als wahrer Meister. Dass die FPÖ als Regierungspartei ab 2000 die Praxis übernahm, die eigenen Seilschaften großzügig zu bedienen, war dann auch ein Faktor für ihren politischen Absturz bei den Parlamentswahlen im Jahre 2002. Haider, den der Journalist Armin Thurnher trefflich als „Prinz Widerspruch“ charakterisiert hat, zögerte als Landeshauptmann von Kärnten nicht, seine Klientel mit gut bezahlten Posten zu versorgen – paradoxerweise jedoch, ohne dafür vom Wähler bestraft zu werden.[50]
Die Macht der Kronen Zeitung
Die Handlungsfähigkeit von PolitikerInnen, ihr Gestaltungsspielraum in den entscheidenden gesellschaftlichen Themen wie auch die politische Urteilsfähigkeit der StaatsbürgerInnen ist in hohem Maße durch die Massenmedien, durch Fernsehen und Printmedien beeinflusst und bestimmt. Der Qualitätsverlust der Massenmedien, die Tendenz zur „Boulevardisierung“ spielt den rechtspopulistischen Parteien in die Hände, die, wie der Aufstieg Jörg Haiders oder auch Silvio Berlusconis zeigt, die Logik des Boulevards weit geschickter und gewissenloser handhaben als die traditionellen Parteien. Die österreichische Medienlandschaft ist einerseits durch extreme Eigentümerkonzentration bei den Printmedien und durch die enorme Reichweite der Neuen Kronen Zeitung , die von drei Millionen ÖsterreicherInnen täglich gelesen wird, charakterisiert. Die Kronen Zeitung trägt mit ihrer von populistischen Ressentiments, Ausländerfeindlichkeit und einer rabiaten EU-Kritik geprägten Berichterstattung zweifellos und nachweislich ganz wesentlich zur Verstärkung und Verfestigung des rechtsextremen politischen Potentials in Österreich bei.[51] Die von dem fast 90jährigen Zeitungsmacher Hans Dichand herausgegebene Boulevard-Zeitung – nach Felix Kreissler das „Zentralorgan der Kleinbürger mit hohem Infektionsradius“[52] – ist auch als politisches Kampagnenblatt eine Macht ersten Ranges in Österreich. So wäre das überaus große Ausmaß der Zustimmung der österreichischen Bevölkerung beim Referendum im Juni 1994 über den Beitritt zur EU ohne den einige Monate vorher erfolgten Schwenk der Kronen Zeitung von einer neutralen zu einer aktiv den Beitritt unterstützenden Position nicht möglich gewesen.[53] Auch der Aufstieg Jörg Haiders wurde von der Kronen Zeitung wesentlich gefördert.
Die Abhängigkeit der österreichischen Politik von „Onkel Hans“ und der peinliche „vorauseilende Gehorsam der österreichischen Politiker“ [54] zeigte sich besonders deutlich beim Schwenk der SPÖ in Bezug auf nationale Volksabstimmungen in EU-Fragen vor den Nationalratswahlen 2008. Dieser wurde durch einen offenen Brief des neuen Parteivorsitzenden Faymann und des damals noch amtierenden Bundeskanzlers Gusenbauer über die Kronen Zeitung der erstaunten Öffentlichkeit präsentiert, was allgemein als Unterwerfungsgeste des neuen Spitzenkandidaten gedeutet wurde. Faymann hatte schon als Wiener Wohnungs-Stadtrat und dann als Infrastrukturminister die Kronen Zeitung, aber auch andere Boulevard-Medien, wie die neugegründete Tageszeitung Österreich, durch Inserate großzügig gefördert.[55] Der Kniefall Faymanns wurde dann in Form einer mehr als peinlich zu bezeichnenden Kampagne der Kronen Zeitung – „Auch Tiere würden Faymann wählen“, so ein Titel in der „Tierecke“ – honoriert und trug dazu bei, dass die SPÖ in den Nationalratswahlen eine knappe Mehrheit vor der ÖVP halten konnte.
Der Erfolg im Wettlauf um die Gunst der Kronen Zeitung war für die SPÖ jedoch nur von kurzer Dauer. Die Kronen Zeitung begann nun ihre journalistischen Geschütze für Vizekanzler Josef Pröll und den als Gegenkandidat zum amtierenden Bundespräsidenten Heinz Fischer unterstützten Onkel Josef Prölls, den Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Pröll in Stellung zu bringen. Und in den Europawahlen kampagnisierte die Kronen Zeitung mit voller Kraft für den parteilosen Kandidaten Hans-Peter Martin, der fast 18% der Stimmen schaffte und damit ganz wesentlich zur vernichtenden Niederlage der SPÖ beitrug. Martin wurden von der Kronen Zeitung täglich ein bis zwei Seiten für den Abdruck seines Buches „Die Europafalle“ eingeräumt. 70% der Martin-WählerInnen waren Nachwahlanalysen zufolge ausschließliche LeserInnen der Kronen Zeitung.[56] In einem Jubelgedicht des Hausreimers der Kronen Zeitung, Wolf Martin, hieß es: „Ein Sieg war dieses zweifelsohne, für H.-P. Martin und die Krone.“[57]
Österreich ist noch nicht in Europa angekommen
Die österreichische Bevölkerung hat eine sehr skeptische Haltung zur EU und zur EU-Mitgliedschaft, in den Eurobarometer-Umfragen ist Österreich in Bezug auf eine positive Einschätzung der Mitgliedschaft kontinuierlich bei den Schlusslichtern[58], was es FPÖ und BZÖ leicht machte, mit ihrer extrem nationalistischen EU-Kritik politisch zu punkten.[59]
Die im Vergleich mit anderen Ländern geringe Unterstützung der EU in Österreich hat eine Reihe von Gründen. Die EU steht für breite Schichten der Bevölkerung, die in den letzten Jahren Einkommensverluste und eine zunehmende Gefährdung ihrer Arbeitsplätze hinnehmen mussten, nicht für eine Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage. So müssen es österreichische ArbeiterInnen und Angestellte wohl als Zynismus erleben, wenn die von ÖVP und SPÖ und Wirtschaft ständig hinausposaunte These, dass Österreich wirtschaftlich zu den Top-Gewinnern der EU-Osterweiterung gehöre, mit einer befürchteten und realen Verschlechterung der eigenen sozialen Situation einherging[60] und wenn sich nach jahrelang vermeldeten Rekordgewinnen nun aufgrund der Finanzkrise die starke Investition der österreichischen Wirtschaft in Ost- und Südosteuropa als gravierender Risikofaktor mit drohenden Riesenverlusten herausgestellt hat, die der Staat mit Steuergeldern abzufedern hat.
Ein weiterer Grund für die Skepsis breiter Teile der österreichischen Bevölkerung gegenüber der EU ist die wenig positive Bilanz der EU-Mitgliedschaft seit dem Beitritt im Jänner 1995. Es ist der österreichischen Regierung nicht gelungen, wichtige nationale Interessen, vor allem in der Transitfrage, in der Frage der Atomkraftwerke und des Atomstroms in Brüssel erfolgreich zu vertreten. Österreich, das bei seinem Beitrittsansuchen im Juli 1989 betonte, dass eine Mitgliedschaft die erreichten hohen Standards im sozialen Bereich und in der Umweltpolitik nicht gefährden dürfe, war nicht nur in diesen Politikbereichen in Brüssel sehr wenig aktiv, sondern hat auch die nationalen Spielräume nicht ausgenützt: Die Ungleichheit in der Einkommensverteilung in Österreich hat in den vergangenen Jahren stärker zugenommen als im EU-Durchschnitt, die Verteilung des Volkseinkommens hat sich wesentlich von den Lohneinkommen zu den Gewinn- und Vermögenserträgen verschoben, und Österreich ist zudem, was die Differenz in der Entlohnung von Frauen und Männer betrifft, seit langem unter den EU-Nachzüglern.
Auch in der Umweltpolitik ist Österreich, das seine Landschaft sehr erfolgreich touristisch vermarktet, in Bezug auf die Umsetzung der Kioto-Ziele und die Implementierung wichtiger Umweltrichtlinien äußerst säumig. So ist das frühere „Umwelt-Musterland“ Österreich bei der Erreichung der von der EU beschlossenen Klimaschutzziele im Bereich des CO2-Ausstoßes zurzeit an drittletzter Stelle in Europa.[61]
Die Erwartungen der EU, dass Österreich auf Grund seines geographischen, kulturellen und wirtschaftlichen Naheverhältnisses zu Osteuropa eine positive Rolle im Prozess der so genannten Osterweiterung der EU spielen werde, wurden ebenfalls nicht erfüllt, was Österreich das Image eines Bremserlandes eintrug. Die Querelen mit der Tschechischen Republik (Beneš-Dekrete und Atomkraftwerke an der österreichischen Grenze), die harte Haltung Österreichs in der Frage der Öffnung des eigenen Arbeitsmarktes für Personen aus Ost- und Südosteuropa und das Fehlen einer klaren Position bei den Beitrittsverhandlungen verhinderten, dass es zu einer politischen Unterstützung der Kandidatenländer durch Österreich kam. Hier zeigt sich die Schwäche bzw. das Nachhinken der Politik gegenüber der Wirtschaft. Österreichische Unternehmen, Banken und Versicherungen nützten stärker und früher als andere EU-Länder die Investitions- und Gewinnmöglichkeiten in Osteuropa und zählten – zumindest bis zur Finanzkrise – zu den größten Profiteuren dieser EU-Erweiterung.
Die Aufgabe einer aktiven Politikhaltung ist schließlich auch in einem für die politische Identität der Bevölkerung sehr elementaren Bereich, in der Frage der Neutralität, sichtbar. Die österreichische Regierung, der es nicht gelang, die „unbotmäßige“ Bevölkerung von den Vorteilen einer Abschaffung des neutralen Status zu überzeugen und – im Falle der ÖVP – für eine NATO-Mitgliedschaft zu begeistern (nach wie vor findet sich eine breite Mehrheit quer durch alle Schichten und Altersgruppen für die Beibehaltung der Neutralität), hat sich hier völlig an den EU-mainstream angepasst und es unterlassen, gemeinsam mit den anderen neutralen und paktungebundenen EU-Ländern Initiativen für eine Friedenspolitik der EU zu setzen.[62]
Die österreichische Politik trägt so nicht nur wenig zu einer notwendigen Veränderung der neoliberal und tendenziell militaristisch ausgerichteten EU-Politik bei, sondern spielt mit ihrer kurzsichtig österreich-zentrierten und im Wesentlichen inaktiv-opportunistischen Politik in Brüssel und in Strassburg den aggressiven antieuropäischen Reflexen und Positionen von FPÖ, BZÖ und Kronen Zeitung in die Hände und verstärkt Provinzialismus und egozentrischen Nationalismus im eigenen Land. Erkennbar ist dies auch an der Tatsache, dass in einer Abstimmung über neue EU-Asylrichtlinien die österreichischen Abgeordneten im europäischen Parlament – hier gab es eine traute Gemeinsamkeit von SPÖ, ÖVP und FPÖ – mehrheitlich gegen den Vorschlag der EU-Kommission, der Mindeststandards für AsylwerberInnen garantieren sollte, votierten und sich damit auf europäischer Ebene in einer Minderheit und in Gesellschaft mit anderen Abgeordneten der extremen Rechten befanden.[63]
Schlussbemerkung
Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise hat durch die Zunahme von Arbeitslosigkeit, Armut und genereller persönlicher Unsicherheit in Österreich wie auch in den anderen EU-Ländern die tiefe Legitimitätskrise der mainstream-Politik verstärkt. Business as usual, die Fortsetzung einer Politik, in der die Regierungsparteien als pseudodemokratisch und als bloße Wahl- und Machtbestätigungs-Maschinerien wahrgenommen werden, die nicht fähig und willens sind, die Fragen, die die Menschen bewegen, aufzunehmen und in konkrete Programme umzusetzen, gerät in immer größere Turbulenzen. Das rechtspopulistische/rechtsextreme Lager wird von dieser Krise der traditionellen Politik weiter profitieren und wird weiter „zu oft die falschen Antworten auf richtige Fragen“[64] geben. Für die Stärkung bzw. Wiederherstellung einer Politik, die den rechtspopulistischen Manipulateuren entgegenstehen kann, braucht es die Anstrengungen und Kämpfe von sozialen Bewegungen, den Beitrag einer kritischen Zivilgesellschaft und in die Öffentlichkeit getragene konzeptuelle Beiträge von WissenschafterInnen und Intellektuellen. Nur durch eine breite demokratische Bewegung wird eine Bewältigung der anstehenden politischen und wirtschaftlichen Probleme und ein Umdenken in Richtung einer aktiven sozialen und ökologisch ausgerichteten Politik und einer stärkeren Einbeziehung der Bevölkerung in Entscheidungsprozesse durch die politische Klasse möglich sein.
Die breite Protestbewegung der österreichischen Studierenden gegen die Ausbildungsmisere an den Universitäten, die Mitte Oktober 2009 in Wien begann und Protestaktionen auch in anderen europäischen Ländern auslöste, könnte für eine solche Entwicklung eine wichtige und hoffnungsvolle Initialzündung darstellen.
[1] Rudolf Altmüller, Gilbert Ravy, Gerald Stieg,
„Avant-Propos“, in Rudolf Altmüller et al. (éd.), Mélanges Félix Kreissler,
Wien, Europaverlag, 1985, p. 3.
[2] Ibid. p. 3.
[3] Karin Luger-Dallinger, Kurt Luger, „Nur wer Österreich kennt, weiß, was ich leide ... Kulturelles Gedächtnis und Österreich-Image im Mediendiskurs“, in Helmut Kramer, Karin Liebhart, Friedrich Stadler (éd.), Österreichische Nation – Kultur – Exil und Widerstand, Wien – Berlin, LIT-Verlag, 2006, p. 323.
[4] Danny Leder, « Contradictoires mémoires d’Autriche », Libération,
5 avril 2000.
[5] Le Monde, 13 février 2000.
[6] Vgl. dazu auch: Christoph Bärenreuter, Stephan D. Hofer, Andreas J. Obermaier, „Zur Außenwahrnehmung der FPÖ: Der Mediendiskurs in Frankreich, Israel und Schweden über die Nationalratswahlen und die Regierungsbildungen in den Jahren 1999/2000 und 2002/2003“, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 33 Jg. (2004), Heft 3, p. 331.
[7] 2005 aus einer Abspaltung von der FPÖ hervorgegangen.
[8] Libération, 13 octobre 2008.
[9] Cf. Anita Zielina, „Männlich, jung, ungebildet sucht Partei“, derStandard.at, 2 octobre 2008, http://derstandard.at/fs/1220459643864.
[10] Systematisch untersucht wurden die Online-Ausgaben (September 2008 bis Juni 2009) folgender Zeitungen/Zeitschriften: Le Figaro, Le Monde, Le Nouvel Observateur, Le Parisien, L’Express, L’Humanité, Libération.
[11] Libération,
6 juin 2009.
[12] Libération,
11 octobre 2008.
[13] L’Humanité,
30 septembre 2008.
[14] Le Figaro,
26 septembre 2008.
[15] L’Humanité,
13 octobre 2008.
[16] Samo Kobenter, „Das Phantom der Medien“, Der
Standard, 13 octobre 2008, http://derstandard.at/?url=/?id=1220460711353.
[17] Le Monde, 18
octobre 2008.
[18] Cf.
http://tempsreel.nouvelobs.com/actualites/videos/20081012.OBS5470/la_mort_de_jorg_haider.html.
[19] Pelinka: „Medien haben Haider zu ernst genommen“,
Der Standard, 13 octobre 2008,
http://derstandard.at/?url=/?id=1220460704411.
[20] Le Monde,
15 octobre 2008.
[21] Le Monde, 12
octobre 2008, Le Figaro, 11 octobre 2008.
[22] L’Humanité,
9 juin 2009.
[23] „Si les
Autrichiens représentaient démographiquement 8 % du Reich, ils étaient
14 % parmi les SS, 40 % du personnel des camps… et 70 % des
responsables de la logistique de la « solution finale »“. (L’Humanité, 9
juin 2009). Segal bezieht sich hier auf Zahlen, die 1999 vom US-amerikanischen
Historiker Evan B. Burkey publiziert wurden. Der österreichische Historiker
Bertrand Perz belegt, dass diese Zahlen empirisch fragwürdig sind, weil sie
nicht genügend auf gesicherte methodische Überlegungen gestützt seien, da
sowohl eine einheitliche Täterdefinition ausstehe als auch eine Erfassung nach
nationaler Herkunft (wer gilt als ÖsterreicherIn?) praktisch undurchführbar
sei. Cf. Bertrand Perz, „Der österreichische Anteil an NS-Verbrechen.
Anmerkungen zur Debatte“, in Helmut Kramer, Karin Liebhart, Friedrich Stadler
(éd.), Österreichische Nation – Kultur – Exil und Widerstand, Wien –
Berlin, LIT-Verlag, 2006, p. 223 - 234.
[24] „Wie uns die anderen
sehen. Österreich und Frankreich heute“, Zusammenfassung einer Podiumsdiskussion
vom 27.4.2000, http://www.kreisky.org/kreiskyforum/pdfs/rueck/84.pdf.
Zu den Österreich-Analysen von Felix Kreissler vgl. Ute Weinmann, „Felix
Kreisslers Beiträge in der Zeitschrift Le Patriote Résistant“, in Helmut
Kramer, Karin Liebhart, Friedrich Stadler (éd.), Österreichische Nation –
Kultur – Exil und Widerstand, Wien – Berlin, LIT-Verlag, 2006, p. 207
- 214.
[25] Titel des letzten Beitrages von Felix Kreissler
in Le Patriote Résistant nach den Kärntner Landtagswahlen 2004, zit.
nach ibid., p. 213.
[26] Ruth Wodak, „In Österreich nichts Neues – oder doch?“,, in: Die Zukunft, 7-8/2009, p. 20.
[27] Der Antisemitismus überlebte quer durch alle Bevölkerungsgruppen und Parteien und wurde auch mittels äußerst diskussionswürdiger Umfragenmethoden, wie beispielsweise in der bislang größten österreichischen Antisemitismusstudie 1987, großkoalitionär – die Meinungsforschungsinstitute beider Parteien waren eingebunden – heruntergespielt: „Von [S]eiten der Studie[nautoren] wurde, so kann man nachträglich feststellen, in fast allen Arbeitsschritten einiges unternommen, um die vorhandenen Spuren von Antisemitismus [...] eher zu verwischen als aufzufinden.“ (Christian Fleck, Albert Müller, „Zum nachnazistischen Antisemitismus in Österreich. Vorderbühne versus Hinterbühne“, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 4/1992, p. 496f.).
[28] zit. nach: Georg Gröller, „Was wir nicht erinnern, müssen
wir wiederholen. Psychoanalytische Überlegungen zum Erfolg Jörg Haiders und der
FPÖ“, http://sammelpunkt.philo.at:8080/1790/1/09gröller.pdf.
[29] http://ww.viennablog.at/?itemid=6532.
[30] Eva Linsinger, Christa Zöchling, „Der böse Österreicher: Die unbekannten Seiten des Nationalratspräsidenten Graf“, profil, 6 juin 2008, http://www.profil.at/articles/0923/560/243718.
[31] Elf der 34 FPÖ-Nationalratsabgeordneten kommen
laut Presseberichten aus schlagenden Burschenschaften, Martin Grafs
„Lebensgemeinschaft“ (O-Ton) ist die Burschenschaft Olympia, Strache
selbst gehört der Verbindung Vandalia an. Siehe dazu auch: Heribert
Schiedel, Martin Tröger, „Zum deutschnationalen Korporationswesen in
Österreich“, http://www.doew.at/thema/thema_alt/rechts/burschen/burschis.html.
[32] „Strache und Haider auf dem Vormarsch“, Süddeutsche
Zeitung, 19 septembre 2008,
http://www.sueddeutsche.de/politik/904/310832/text.
[33] Da Egger sicherlich bekannt war, dass Loewy weder „Exiljude“ ist und aus Frankfurt und nicht aus „Amerika“ stammt, ist dieser verbale Amoklauf als bewusster Rekurs auf antisemitische Äußerungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die ihre Renaissance in der Diskussion rund um Waldheims Präsidentschaftskandidatur erlebten, zu bewerten.
[34] Michael Völker, „Flöhe in der Koalition“, Der Standard, 23 août 2009. http://derstandard.at/fs/1250691046083.
[35] Peter Michael Lingens, „Der unterschätzte Strache“, profil, 28 avril 2008, http://www.profil.at/articles/0817/560/204240/der-strache.
[36] Regina Pollak, Ursula Hamachers-Zuba, Christian Friesl (éd.), „Die Österreicher/innen. Wertewandel 1990-2008, Wien, Czernin Verlag, 2009, p. 284.
[37] Ibid., p. 261.
[38] Anton Pelinka, „Die Stunde des falschen Patrioten“, Die Zeit, 3 juin 2009, http://www.zeit.de/2009/24/A-Euro-Wahl.
[39] Trautl Brandstaller, „Erwartetes Erdbeben“, Der Standard, 29 septembre 2008.
[40] Cf. Emmerich Talos, „Sozialpolitik nach der Wende“, in: Helmut Kramer, Karin Liebhart, Friedrich Stadler (éd.), Österreichische Nation – Kultur – Exil und Widerstand, Wien – Berlin, LIT-Verlag, 2006, p. 115-128.
[41] Nikolaus Kowall, „Veränderung benötigt Risiko“, Die Presse, 2 mai 2008, http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/355206/print.do.
[42] Armin Thurnher, „Österreich und Europa erstickt am Gulasch und am Zustand der Politik, Falter, 20 mai 2009.
[43] Colin Crouch, Postdemokratie, Frankfurt/Main, Suhrkamp, 2008, p. 11.
[44] Ibid., p. 8.
[45] Ulrich Brand, „Die Politik als leere Hülle“, Der
Standard, 8 août 2008, http://derstandard.at/?url=/?id=1216918879036.
[46] Cf. Hubert Sickinger, „Politikfinanzierung
in Österreich“, Wien, Czernin Verlag, 2009, p. 92ff.
[47] was beim Rückgang der in der Landwirtschaft Beschäftigten in Österreich auf zurzeit etwa 2% oder 200 000 Personen nur durch die separat ausgewiesene Mitgliedschaft von Familienangehörigen möglich ist.
[48] Julia Ortner, „Weich ist das neue Hart“, Falter, 8 juillet 2009.
[49] „Der Bauernbund ist politische Heimat, Stütze und Personalreservoir für den neuen ÖVP-Obmann [...] Die zentrale Position in Josef Prölls Netzwerk nimmt Raiffeisen ein. ‚Und es geht auch nicht darüber hinaus’, lautet ein gängiges Bonmot in der ÖVP“, Die Presse, 21 novembre 2008, http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/432285/index.do?from=simarchiv.
[50] Zur politischen Inszenierung von Jörg Haider als Kärntner „Robin Hood“ cf. Klaus Ottomeyer, Jörg Haider – Mythenbildung und Erbschaft, Klagenfurt/Celovec, Drava, 2009.
[51] Cf. Sven Gächter, „Volkskunde“, profil, 10 avril 2009, Joachim Riedl, „Moloch“, Die Zeit, 18 juin 2009.
[52] Felix Kreissler, Kultur als subversiver Widerstand. Ein Essay zur österreichischen Identität, München – Salzburg – Rom, 19961, p. 238 ff.
[53] Der Grund für diese Positionsänderung war, dass die SPÖ-ÖVP-Regierung Dichand Zusagen für dessen Privatfernsehen- bzw. Privatradio-Pläne machte.
[54] Herbert Lackner, „Wahlsieger Krone“, profil, 15 juin 2009.
[55] Cf. Barbara Tóth, „Faymann fehlt noch viel zum Kanzler“, Falter, 1 octobre, 2008, p. 4.
[56] Herbert Lackner op.cit.
[57] zit. nach Alexandra Föderl-Schmid „Der Kanzlermacher. Österreich als parlamentarische Demokratie von Hans Dichands Gnaden“, Der Standard, 19 juin 2009, http://derstandard.at/fs/1244461056351.
[58] Eurobarometer 71. Frühjahr 2009, http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb71/eb71_at_de_nat.pdf, p. 37.
[59] Wahlslogans der FPÖ für
die EU-Parlamentswahlen im Juni 2009: „Echte Volksvertreter statt EU-Verräter“,
„Für Österreich da statt für EU & Finanzmafia“, „Abendland in Christenhand“,
„FPÖ-Veto gegen einen EU-Beitritt von Türkei & Israel“.
[60] Cf. Helmut Kramer, „Die Unbotmäßigkeit der
Untertanen: Zum EU- und Neutralitätsdiskurs in Österreich“, in: Josef Hödl,
Klaus Posch, Peter Wilhelmer (éd), „Sprache und Gesellschaft. Gedenkschrift
für Hans Georg Zilian“, Wien, Verlag Österreich, 2007, p. 238f.
[61] Cf. „Klimaexperte fordert Kohlendioxid-Steuer“, Kurier, 10 septembre 2009, http://kurier.at/geldundwirtschaft/1937524.php.
[62] Cf. Helmut Kramer, „Die ÖVP-FPÖ-BZÖ-Regierungen und ihre Außenpolitik. Politische Wende oder Kontinuität?“, in: Helmut Kramer, Karin Liebhart, Friedrich Stadler (éd.), Österreichische Nation – Kultur – Exil und Widerstand, Wien – Berlin, LIT-Verlag, 2006, p. 163 – 171.
[63] Cf. Johannes
Voggenhuber, „Die Vertreibung des Gewissens. Die Abstimmung über europäische
Asylrichtlinien ist eine exemplarische Geschichte der Feigheit“, Die Zeit,
28 mai 2009. http://www.zeit.de/2009/23/A-Europa-Wahlen.
[64] Christoph Kotanko über Jörg Haider, cit. in
http://www.vol.at/news/tp:vol:haider/artikel/heimische-pressestimmen-veraenderer-unbequemer/cn/news-20081011-05424971.