Obama, die NATO und Europa

Warum gibt es die NATO noch?

Einige Beobachter fragen sich, warum es die NATO noch gibt, nachdem die Grundlage für ein Militärbündnis, der bedrohliche Feind, weggefallen ist. Einige Gründe können angeführt werden, wie das US Interesse, mit der NATO weiterhin einen Fuß in Europa zu haben oder das Überlebensbedürfnis der Organisation. Der wichtigste Grund dürfte wohl sein, dass die NATO eingesehen hat, dass die „Kollektive Verteidigung“ keine ausreichende Existenzgrundlage der NATO ist, und dass sie deshalb neue Aufgaben übernehmen musste. In den neunziger Jahren hat sich die NATO daher zunehmend dem Krisenmanagement zugewendet. Die Kriege am Balkan gaben dafür ausreichend Legitimation. Man könnte daher sagen, dass nicht nur die NATO den Balkan, sondern auch der Balkan die NATO gerettet hat.

 

Kollektive Verteidigung oder Krisenmanagement?

Das Bündnisprinzip der „Kollektiven Verteidigung“ ist aber nicht verschwunden und hat innerhalb der NATO noch viele Anhänger. Ein Teil innerhalb der NATO will sich nicht damit abfinden, dass die NATO eine Krisenmanagementorganisation wird. Es findet daher eine heftige interne Auseinandersetzung statt, ob die Organisation ein Militärbündnis bleiben oder vorrangig globale Krisenmanagement- und Stabilisierungsaufgaben übernehmen soll?

Weiters steht die NATO vor der Alternative, künftig primär regional oder global zu handeln. Die Traditionalisten wollen an der NATO des Kalten Krieges festhalten, auch weil sie in Russland nach wie vor die Hauptbedrohung sehen. Die Reformer sehen aber die wichtigste Aufgabe der NATO in Operationen, die außerhalb des Territoriums der Bündnismitglieder liegen. Dazu gehört nicht nur der Balkan und Afghanistan sondern auch die Bekämpfung der Piraterie vor der somalischen Küste, humanitäre Einsätze bei Erdbeben und Hochwasserkatastrophen. Gerade letztere werden von den Traditionalisten heftig kritisiert. Setzen sich die Traditionalisten durch, würde das wahrscheinlich das Ende der NATO bedeuten. Einige Republikaner in den USA wollen die NATO überhaupt in einen weltweiten Bund von Demokratien umwandeln, der tendenziell den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ersetzen soll. Ausgewählte Demokratien dürften Mitglieder werden; er würde Staaten wie Indien und Israel Sicherheitsgarantien gewähren, aber von Russland und China als feindlich eingestuft werden. Das am NATO Gipfel in Strassburg und Kehl in Auftrag gegebene neue strategische Konzept wird wahrscheinlich nicht sehr erfolgreich versuchen, beide Flügel miteinander zu versöhnen. Spannungen werden bleiben.

 

„Menschliche Sicherheit“ statt „Kollektive Verteidigung“!

Die Chance für die NATO besteht darin, dass das Prinzip der „Kollektiven Verteidigung“ zugunsten des der „Menschlichen Sicherheit (Human Security)“ zurückgedrängt wird. Das bedeutet die Abkehr von einer feindorientierten Strategie zu einer, die den Schutz der Bevölkerung oder Teilen von ihr etwa in funktionsgestörten und fragilen Staaten zum Ziel hat. Damit verschwimmt auch die Konkurrenz zwischen den Petersbergaufgaben der Europäischen Union und den Friedensmissionen der NATO, zwischen den Kriseneinsatzgruppen der EU („Battle Groups“) und der Eingreiftruppe der NATO („NATO Response Force“). Die Charta der Vereinten Nationen hat in Kapitel VII eigene Truppenkontingente vorgesehen, die aber nie aufgestellt wurden, weil sie die Mitgliedsstaaten nicht zur Verfügung stellen wollten. Die NATO und die EU könnten nun für die Vereinten Nationen solche Kontingente abstellen.

 

Obama, die NATO und Europa

Die Konkurrenz zwischen einer amerikanisch dominierten NATO und einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beginnt sich aus zwei anderen Gründen aufzulösen. Erstens gibt es in den USA mit Barack Obama eine Administration, die mit Europa ein partnerschaftliches Verhältnis entwickelt, und zweitens ermöglicht gerade die neue US Regierung dem französischen Präsidenten Sarkozy die volle Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO. Die NATO wird dadurch europäischer und transatlantischer zugleich. Das bedeutet mehr europäische Mitsprache aber auch mehr europäische Mitbeteiligung.

 

Nicht Afghanistan soll die NATO retten sondern die NATO Afghanistan

Momentan ist Afghanistan für die NATO ein wichtiges Thema. Das transatlantische Verhältnis wird sich aber nicht darauf beschränken. Obamas Afghanistanstrategie ist umfassend und nicht rein militärisch. Die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte, zivile Projekte und die Einbeziehung der Nachbarstaaten sind ebenso wichtig. Für Obama ist europäische Hilfe in all diesen Bereichen willkommen und nicht nur in der Form von mehr Kampftruppen, wie Militärexperten nicht müde wurden zu wiederholen. Das transatlantische Verhältnis und der Erfolg in Afghanistan können nicht davon abhängen, ob die Amerikaner oder die Europäer mehr Kampftote zu beklagen haben. Es wäre fatal, das Schicksal der NATO von einem „Sieg“ der NATO in Afghanistan abhängig zu machen. Afghanistan ist nicht dazu da, die NATO zu retten, sondern die NATO ist in Afghanistan, um zu verhindern, dass der Staatsaufbau in Afghanistan scheitert.

 

Russland und die NATO

Gerade weil die NATO die Beistandsverpflichtungen eines Bündnisses beibehalten will, wird sie auch von einer schnellen Aufnahme Georgiens und der Ukraine Abstand nehmen müssen, will sie sich nicht auf Konfrontationskurs mit der Nuklearmacht Russland begeben. Das stößt aber auf starken Widerstand einiger „neuer“ Mitgliedsstaaten, weil sie wie Georgien in Russland die primäre Bedrohung sehen. Bei der Zusammenarbeit mit Russland vorrangig für Obama sind hingegen nukleare Abrüstungsgespräche, Russlands logistische Unterstützung der NATO in Afghanistan sowie die Bekämpfung von Terrorismus und Drogenhandel. Auch die Nuklearprogramme des Iran und Nordkoreas können ohne die Kooperationsbereitschaft Russlands nicht gelöst werden. Dennoch sind die Themen NATO-Erweiterung und Raketenabwehr weiterhin Hindernisse für verbesserte Beziehungen zwischen der NATO und Russland. Dazu kommen die kleineren Irritationen wie das NATO Manöver in Georgien und die Ausweisung zweier NATO Beamte aus Moskau wegen Spionagevorwürfen im Mai 2009.

 

Die Rolle der NATO in einer neuen „Obama Doktrin“

Die Lösung liegt in einem globalen Zusammenhang. Barack Obama hat eine neue Afghanistan, Iran-, und Lateinamerikastrategie formuliert. In ihr könnte sich eine neue Obama Doktrin verbergen: Stabilisierung gefährdeter Staaten, ohne sie von außen Demokratisieren zu wollen – wie das die Bush Administration vorhatte. Engagement von Freunden und Gegnern, um regionale Konflikte zu lösen. Historische Gegensätze würden verschwinden, traditionelle Konzepte wie Beistandsgarantien obsolet werden. Militärische Mittel dienen nicht dazu einen globalen „Krieg gegen den Terror“ zu führen, sondern um zu verhindern, dass sich Terroristen dieser gefährdeten Staaten bedienen. (Zur Erinnerung: Als Bush Doktrin gilt der in der nationalen Sicherheitsstrategie von 2002 formulierte präemptive Einsatz amerikanischer Truppen bevor ein z.B. terroristischer Angriff auf die USA erfolgen kann.) Die NATO ist bestens dazu geeignet, die Instrumente für Stabilisierungsoperationen, wie ausgebildetes Personal und geeignete Ausrüstung, zur Verfügung zu stellen.

 

Österreich und die NATO?

Für Österreich besteht keine Notwendigkeit, dem traditionellen Teil der NATO beizutreten und die Beistandsverpflichtungen zu übernehmen. Im Sinne der globalen Partnerschaftsidee Obamas soll sich Österreich aber verstärkt an geeigneten Krisenmanagement- und Stabilisierungsaufgaben der UNO, der NATO und der EU beteiligen, wie Ausbildung von Sicherheitskräften Afghanistans oder Einsätze im Tschad oder auch Dafur.

 

 

von Univ. Prof. Heinz Gärtner,  Sicherheits- und USA Experte des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip) und Autor des Buches „Obama – Weltmacht auf neuen Wegen!“ (lit-Verlag, 2. Auflage, 2009).