Gerechte
Intervention
Gunnar Heinsohn
(15.3.2012)
Das Gebot der humanitären
Einmischung ist so alt wie die jüdische Ethik: „Den Unschuldigen und Gerechten
sollst Du nicht töten! / Errette, die man zu Tode schleppt und entzieh dich
nicht denen, die zur Schlachtbank wanken. Sprichst Du: Siehe, wir haben’s nicht
gewusst, fürwahr, der die Herzen prüft, merkt es, und der auf deine Seele acht hat, weiß es“ (2. Mose 23: 7
/ Sprüche Salomos 24: 10-12).
Allerdings soll die UNO-Charta
von 1945 nach den Kriegswellen des 20. Jahrhunderts „Angriffshandlungen“ auf
andere Länder für alle Zeiten „unterdrücken“ (Art. 1). Deshalb stößt selbst ein
gerechter Interventionskrieg auf rechtliche Schwierigkeiten. Bestenfalls kann
man dem UNO-Sicherheitsrat „auf sein Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung
stellen“ (Art. 43), die dann er humanitär ins Gefecht schickt. Gleichwohl
behält ein angegriffenes Land „das naturgegebene Recht zur individuellen oder
kollektiven Selbstverteidigung“ (Art. 51.
Rechtlich einfacher wird die
Intervention bei Völkermord. Zu „dessen Verhütung“ verpflichten sich nämlich
alle 140 Nationen, die der UNO-Völkermordkonvention von 1948 beigetreten sind.
Völkermord darf, ja muss sogar ohne fremde Erlaubnis unterbunden werden. Die
Bundesrepublik steht da seit 1954 in der Pflicht. Qatar,
das jetzt so heftig den Einmarsch nach Syrien fordert, ist seit 1971 in der
UNO, hat die Völkermordkonvention aber niemals ratifiziert.
Zur Intervention will man vor
allem westliche Länder animieren, weil vorrangig sie im internationalen
Strafrecht mehr sehen als geduldiges Papier. Auch militärtechnisch können am
ehesten sie gezielte Schläge austeilen. Vom Rekrutierungspersonal her
allerdings gelten sie längst als entmannt. Soldaten, die Amerika in Todesgefahr
schickt, sind statistisch die einzigen Söhne ihrer Mütter. In vielen
europäischen Staaten sind diese Krieger sogar einzige Kinder.
Leicht tut der Interventionist sich nur, wenn der Gegner ebenfalls
vergreist. Als von März bis Juni 1999 das 10 Millionen Einwohner zählende
Serbien mit 11.000 Bomberangriffen der NATO niedergeworfen wird, schlägt man
eine Nation, die durch Vertreibungsverbrechen im Kosovo ausgleichen will, was
sie im Kindbett verloren hat. Serbische Mütter können nicht bestenfalls noch
einen Sohn in die Schlacht werfen, während albanische Frauen damals drei Söhne
aufziehen. Serbien gibt nach relativ wenigen Gefallenen auf, weil mit jedem
Toten eine Familie erlischt. Man ähnelt Georgien, das im August 2008 zwar keine
Kriegsverbrechen begeht, aber schon nach vier Tagen davonläuft, weil dort zehn
Frauen zusammen nur noch sieben Söhne aufziehen. Den triumphierenden Russen
geht es nicht besser, aber bei gleichem Nachwuchsmangel siegt gewöhnlich das
größere Volk.
Schwerer tut sich der Westen,
wenn der einzige Sohn oder das einzige Kind sein Leben in die Schanze schlagen
soll, um junge Männer vom Töten abzuhalten, die zweite, dritte oder vierte
Söhne ihrer Mütter sind. Auch ihr Ende wird beweint, vermindert aber kaum die
Schlagkraft der Heimat. Aus Afghanistan mit gerade 30 Millionen Einwohnern
zieht die von 800 Millionen Menschen getragene NATO ab, weil am Hindukusch seit
35 Jahren Verluste problemlos ersetzt werden. Immer ziehen die Frauen drei bis
vier Jungen auf. Dem Westen geht es nur noch darum, den im September 2001 gegen
die Twin Towers begonnenen grenzüberschreitenden
Krieg in einen Bürgerkrieg zurückzuverwandeln. Dafür
wird mit westlichen Geldern ein Teil der jungen Afghanen für Armee und Polizei
gerüstet, damit er die Jünglinge der Taliban in Schach halte. Die Bewaffnung
der einen Bürgerkriegsseite gegen die andere markiert hier längst den Höhepunkt
strategischer Weisheit. Aber aus Afghanistan will man entkommen, während es
gegen Syrien erst richtig losgehen soll.
Immerhin liegt der syrische
Bruderkriegsindex (15-19-jährige Jünglinge zu 55-59-jährigen Männern) nur bei 4
und nicht bei 6 wie in Afghanistan, Kenia oder Gaza. Gleichwohl liegt er damit
über Libyens Wert von 3. Gegen das nordafrikanische Land mit seinen 6 Millionen
Einwohnern müssen zwischen März und Oktober 2011 die Flugzeuge immerhin schon 21.000 mal aufsteigen. 14.000 mal
werden dabei Bomben ins Ziel gebracht. Aber auch ein Bruderkriegsindex von 3
(Deutschland: 0,8) reicht allemal aus, um seitdem die Milizen und Regionen
gegeneinander blutig in Stellung zu bringen. Nach der leidenschaftlich
diskutierten Frage von 2011, ob den Bedrohten geholfen werden soll, folgt die
Verlegenheit von 2012, dass niemand mehr eingreift, als die Gerechten selbst
zum Töten schreiten. Dabei ist man aus dem Kosovo vorgewarnt. Im März 2004
massakrieren muslimische Schützlinge der NATO unter den Augen entsetzter
Bundeswehrsoldaten serbische Nachbarn und verbrennen 550 Häuser sowie 29
orthodoxe Kirchen und Klöster. Bis heute müssen 6.000 westliche Soldaten in dem
1,7 Millionen-Ländchen Wache halten. Die Aussichten werden nur deshalb besser,
weil längst auch die albanischen Frauen nur noch zwei Kinder aufziehen.
Will man gleichwohl mit Drohungen
gegen repressive Gewalt moralische Entschlossenheit demonstrieren, dann fährt
man mit alternden Nationen auch weiterhin am besten. Für Europa liefert die
Diktatur in Weißrussland einen optimalen Kandidaten. Dort gibt es - wie damals
Serbien – nur 10 Millionen Einwohner und eine noch geringere Geburtenrate (1,5
gegen 1,7). Die Aussichten, dass die Unterdrückten nach ihrer Befreiung nicht
selbst zu Verbrechern werden, stehen so gut wie 1990 in Deutschland. Nicht nur
Dissidenten, sondern auch Kommunisten der absinkenden DDR erlangen schnell
akzeptable Positionen. In Ländern hingegen, die keine Pfründen für alle
Aktivisten haben, wird der Zorn der Geretteten schnell von neuem entbrennen.
In Libyen bereiten sich 280.000
junge Männer im Alter zwischen 15 und 19 Jahren auf den Lebenskampf vor. Viele
wird man mit Ölgeldern beruhigen können. Im viel ärmeren Syrien mit seinen 20
Millionen Einwohnern aber sind es 1,2 Millionen. 75 Prozent davon kann man als
Sunniten noch anstacheln durch die Beute, die bei den alewitischen
und christlichen Minderheiten zu holen ist. Deutschland mit 80 Millionen
Einwohnern müsste fast 5 Millionen solche Jünglinge haben, um syrische Brisanz
zu entwickeln, kann aber nur 2,1 Millionen aufbieten. Westliche Verheißungen
auf einen runden Tisch nach einer syrischen Feuerpause dürften sich deshalb als
hohl erweisen. Wenn gleich zehn Heißsporne auf jeden Sessel drängen, könnte zum
Entsetzen der Helfer das Gemetzel gleich im Konferenzsaal wieder losgehen.
Quelle: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/gerechte_intervention/