Mehr oder weniger Sicherheit?

Wird die Welt 2021 sicherer oder unsicherer werden? Ein kurzer Blick auf die wichtigsten Regionen und Themen mag die Antwort erleichtern.

In den USA herrscht eine neue Administration mit einem alten weissen Mann an der Spitze. Ein Katholik mit kaltem Blick, der zumindest verbal Härte verspricht. Härte gegen die globalen „Feinde“ China und Russland. Die Demokraten sprechen zwar viel von Frieden und Freundschaft und doch waren sie in der jungen Geschichte der Vereinigten Staaten die Partei, die sich als kriegsfreudig und kriegsbereit „bewährte“. Johnson mag als deutlichstes Beispiel dafür gelten, dass alle Reformbemühungen durch die interventionistischen Abenteuer im fernen Ausland zunichte gemacht worden sind. Obama ließ bei aller freundlichen Rhetorik den Knopf für ferngesteuerte modernste Waffen aller Art drücken. Jetzt zeigt sich, dass Trumps America first-Politik in den meisten Bereichen ihre Fortsetzung unter Biden zu finden scheint. Dabei ist das Land polarisiert, wie nie zuvor. Die Einigungs-Appelle der Demokraten werden umgehend im Kongress als Scheinappelle entlarvt. Die mögliche politische Rückkehr Trumps konnte nicht verhindert werden und weder ein 81jähriger Präsidentschaftskandidat Biden noch ein running mate Harris werden für die Demokraten eine Siegesgarantie bei den Präsidentschaftswahlen 2024 sein. Und wer soll die vielen Billionen Dollar zahlen, die Biden für die Reparatur des Landes aufbringen will? Etwa die vielen großspendenden Unternehmen, die Bidens Wahlkampf unterstützt haben?

Die EU wird weiter ihren sicherheitspolitischen Schutz unter den Rockfalten der USA suchen und gleichzeitig einen Großteil ihrer industriellen Produktion in China haben und Erdgas und andere Rohstoffe aus Russland beziehen. Sie wird weiterhin von ihren unveräußerlichen Werten reden und gleichzeitig in bürokratischer und struktureller Ineffizienz, Reformunfähigkeit und bei gleichzeitig steigender Unzufriedenheit ihrer Mitglieder und Bürger verharren. Sie wird keine Antworten auf die nach wie vor drängenden Probleme wie Migration finden und am Beispiel Klimawandel mit einer Fülle von legistisch-bürokratischen Vorschriften die finanziellen Mittel der Bürger einschränken. Getragen wird diese Politik von einer neuen politischen Mitte an deren Spitze die Grünen stehen, die von den meisten Medien und wissenschaftlichen Einrichtungen sowie des Kulturbereiches unterstützt und getragen werden. Ein Erstarken vor allem des rechten Lagers wird die mittelfristige Folge sein, denn die klassischen konservativen und christlich-sozialen Parteien werden sich diesem neuen Zeitgeist anschließen. Mehr und mehr wird sich herauskristallisieren, dass die EU zwar ein beachtliches wirtschaftliches Gewicht auf die internationale Waagschale bringt, aussenpolitisch aber höchstens durch Sanktionen verschiedenster Art auffällt und sicherheitspolitisch sich völlig den USA unterordnet. Der Spagat zwischen Wirtschaft mit der neuen Nummer eins China und Sicherheit mit der militärischen Nummer eins, den USA wird Europa nicht ewig unbeschadet ausüben können. Die naheliegende Lösung, die europäische Sicherheit primär mit europäischen Partnern zu vereinbaren und zu fixieren, liegt gegenwärtig außerhalb der intellektuellen Fähigkeiten der Entscheidungsträger der EU.

Russland hat deutlich gemacht, dass die EU in der derzeitigen Verfassung und unter der derzeitigen Führung kein glaubwürdiger und ernsthafter Partner sein kann. Der Weiterbau, die Fertigstellung und Inbetriebnahme von North Stream 2 wird ein Schlüsselkriterium für das weitere Verhältnis sein. So wie die Uigurenfrage das Verhältnis zu China so das Thema Nawalnyj für Russland. Im einen Fall setzt sich der Westen wieder einmal – wie schon in Bosnien-Herzegowina und später im Kosovo - für Moslems ein und was bekommt er dafür? Den IS oder Ähnliches. Nawalnyj hat sich für den Mythos des Mätyrers entschieden oder für das Schicksal eines russischen Michael Kohlhaas. Eine politische Relevanz für Russland hat er schon lange nicht mehr. Die Sanktionen haben Russland wahrscheinlich mittelfristig mehr genützt als geschadet und oft kann man den Eindruck gewinnen, dass in Moskau länger über Politik nachgedacht wird als in Washington, Brüssel oder Berlin. So wird es nicht gehen, dass Brüssel bestimmt, welches Gas in Russland gefördert, wohin geliefert und zu welchem Preis verkauft wird. Vielleicht geht das mit Fracking-Gas, doch das wird einen deutlich höheren Preis haben.

China hat eine lange Geschichte und Tradition; selbst die heutigen Kader der kommunistischen Partei sind Repräsentanten einer alten Kulturnation und stehen nicht im Verdacht, wie seinerzeit die Cowboys mithilfe der Army die Indianer die Tibeter systematisch ausgerottet zu haben. Zwar haben die USA weltweit über 200.000 Mann Militär und ganze Flottenverbände stationiert und betreiben gleichsam Kanonenbootpolitik des zwanzigsten Jahrhunderts, jedoch sind Millionen Chinesen in allen Erdteilen, in allen Küsten- und Handelsstädten tätig; auch wenn sie dem politischen System in Peking skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, so sind sie doch Chinesen geblieben und kulturell eine fünfte Kolonne. Die USA stehen in Wirklichkeit wesentlich höher in chinesischer Abhängigkeit als umgekehrt und es ist jetzt ein klassischer Fall von Trennungsschmerz zu beobachten: Der Trennung und des Abschieds von der bislang unangefochtenen Position der Dominanz. Die Ängste, die in Europa und vor allem in der EU vor der Seidenstraße geschürt werden, sind irrational. Einerseits begibt man sich in völlige Abhängigkeit von den USA und warnt andererseits hysterisch vor chinesischer Einflußnahme; ob das nun in griechischen Hafenanlagen oder in ungarischen Bahnhöfen oder Autobahnen vermutet wird.

Deutschland ist dabei, seine Sonderrolle in Europa zu verlieren. Merkel hat 16 Jahre eine gewisse Konstanz garantiert. Bis 2015 war ihre Laufbahn fast makellos, doch jetzt naht ein Ende mit Schrecken. Die Unionsparteien verlieren sich auf der Suche nach einem aussichtsreichen Kanzlerkandidaten. Laschet ist zwar knapp zum Parteivorsitzenden gewählt, doch Söder tut alles, um seinen Erfolg zu verhindern. Ohne jeden Erfolgsnachweis klettern die Grünen wieder einmal über 20% in den Umfragen, jedoch ist die Union deutlich unter die 30%-Marke gesunken, sodass die FDP mit ins Koalitionsboot geholt werden muß. Die beiden Regierungsparteien verlieren gegenüber der letzten Bundestagswahl rund 10% und kommen auf wenig über 40%; beinahe eine Halbierung gegenüber 2009.

Schließlich zeigt die Covid-Krise beinahe täglich das Versagen vieler politischer und fachlicher Entscheidungsträger, angefangen bei den zuständigen Stellen der EU und die Verunsicherung der Bürger nimmt täglich zu. Auch hier zeigt sich, dass politische Fragen in rein medizinisch-pharmakologische Themen hineingetragen werden. So etwa beim Prüfverfahren der EMA beim Vakzin SputnikV.

Für einen aufmerksamen Bürger der EU haben also die Gründe für mehr Unsicherheit deutlich zugenommen.

 

 

Prof. Dr. Werner Blechschmied, Wien im April 2021