Axel Vogel, MdL Potsdam

 

Hamburg Wahl: Schlag ins Kontor

 

Wie nennt man einen Mißerfolg, wenn man ihn nicht Niederlage nennen will. Der Antrag, das Hamburger Wahlergebnis der GAL offiziell als Niederlage zu werten und zu bezeichnen wurde auf der ersten Versammlung der Hamburger Grünen nach den Bürgerschaftswahlen abgelehnt. Aber ist es ein “ordentliches Ergebnis”, wenn in der einstigen Vorzeigestadt der Grünen, die jahrelang Ergebnisse weit über dem Bundesdurchschnitt lieferte,  trotz bundesweitem grünen-Hype, der dortige grüne Landesverband weit unter den bundesweiten Erwartungswerten für die Bündnisgrünen bleibt? 11,2 Prozent ist ein mageres Ergebnis angesichts zeitgleicher Umfragewerten von 18 – 20 Prozent auf Bundesebene, deutlich über 20 Prozent für die Grünen in Baden-Württemberg, Berlin und Bremen oder 12 % in Rheinland-Pfalz, wo die Grünen seit 5 Jahren auf Landesebene nur noch außerparlamentarisch wirken. Mit 11,2 Prozent hat die Hamburger GAL zwar 1,6 Prozent gegenüber den letzten Bürgerschaftswahlen zugelegt, konnte damit jedoch nicht an die (besseren) Ergebnisse der 90er Jahre anknüpfen und hat zugleich rund die Hälfte der bündnisgrünen WählerInnen bei den Bundestagswahlen 2009  nicht mehr erreicht.

 

Für 4 von 5 Hamburger WählerInnen standen landespolitische Gründe bei ihrer Wahlentscheidung im Vordergrund. Die Erfolge der schwarz-grünen Jahre wurden von einer Vielzahl von WählerInnen offenkundig nicht so hoch eingeschätzt wie von den führenden Köpfen der Hamburger GAL. Mit der Zustimmung zur Elbvertiefung gegen die vage Hoffnung, das Kohlekraftwerk Moorburg durch ein  wasserrechtliches Genehmigungsverfahren verhindern zu können, hatte man die berühmte Taube auf dem Dach eingetauscht. Das Ergebnis ist bekannt: Die Elbvertiefung wird kommen und Moorburg auch. Das grüne Vorzeigeprojekt im Bildungssektor, längeres gemeinsames Lernen in der Mittelstufe und die verpflichtende Einführung der Stadtteilschulen wurde durch einen Volksentscheid beerdigt. Der geplante Wiedererrichtung der Stadtbahn (Straßenbahn) drohte ebenfalls durch ein Volksbegehren das vorzeitige Aus. Die nach dem Rücktritt des CDU-Bürgermeisters von Beust zunehmend desolater wirkende CDU unter ihrem glücklosen Vormann Ahlhaus bot mit personellen Fehlentscheidungen in Serie dann den Grund für Koalitionsende und vorgezogene Neuwahlen mit dem bekannten Ergebnis. Aus der schwarz-grünen Koalitions sofort in die rot-grüne Koalition, den Weg wollten viele grünnahe Wählerinnen offenkundig nicht gleich nachvollziehen. Stattdessen also erst einmal die Möglichkeit zur Regeneration in der Opposition. Eine Chance, die der  Hamburger  SPD in den letzten Jahren aus Sicht einer Mehrzahl der WählerInnen wohl ausreichend gut bekommen zu haben scheint.

 

Die Auswirkungen des  Hamburger Ergebnisses lassen sich aber nicht auf die Hansestadt begrenzen, sondern strahlen bundesweit aus. Die vorher von heftigen personellen Konflikten gebeutelten Parteien  FDP und Linke haben sich mit dem Einzug in das Hamburger Landesparlament stabilisiert, die SPD befindet sich im Aufwärtstrend. Siege färben ab und so hat die SPD in den Umfragen auf Landesebene die baden-württembergischen Grünen wieder überholt.  Die positive bündnisgrüne Dynamik in den Umfragen ist fürs erste nicht nur gestoppt sondern droht sich in eine Abwärtsspirale zu verwandeln. Wie im Aktienhandel passen die Analysten ihre Charts den realen Ergebnissen an. Die relative Überbewertung der Hamburger Grünen  in den Vorwahlumfragen um 3-4 % wird nun auf Bundesebene nachvollzogen und führt zu entsprechenden Korrekturen der Umfrageinstitute. Am extremsten bei der Forschungsgruppe Wahlen, die Bündnis 90/Die Grünen in der Frage nach der “Politischen Stimmung”  im freien Fall nach unten sieht und den Bundesverband nur noch auf 11 % taxiert. Inzwischen scheinen sich die Bundesgrünen 3 Wochen vor den nächsten Landtagswahlen  in den bundesweiten Umfragen auf 15-16 % einzupendeln.

 

Nach dem Hamburger Ergebnis kann  von einem “Auftakt nach Maß” für die deutschen Bündnisgrünen im Wahljahr 2011 mit  6 weiteren  Landtagswahlen und mehreren Kommunalwahlen keine Rede sein. Mit Sorge blickt man grünerseits nun auf den schon sicher geglaubten Einzug in den Sachsen-Anhalter Landtag. Nach Sachsen,  Thüringen und Brandenburg im Jahr 2009  sollte nach 12-jähriger Abstinzenz in Sachsen-Anhalt und dem erstmaligen Einzug in Mecklenburg-Vorpommerns Landtag der  etwas unzutreffende Ruf der Bündnisgrünen als “Westpartei” endgültig ad acta gelegt werden. Es ist ja sowieso ein Treppenwitz, dass die einzige Partei, die nach 1989  auf Augenhöhe mit ihren ostdeutschen Pendants fusionierte und dazu auch ihren Namen änderte, die einzige Partei, in deren Namen mit “Bündnis 90”  die stete Erinnerung an die friedliche Revolution von 1989 eingegangen ist,  in den neuen Bundesländern jahrelang marginalisiert war und  bis heute parlamentarisch unterrepräsentiert ist

 

Die Wahlen am 20. März 2011 für den Landtag in Magdeburg werden nicht nur die Vorzeichen für die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern im Herbst dieses Jahres setzen, ein Scheitern an der  5-Prozent Hürde kann auch einen bösen Mißton für die eine Woche später stattfindenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz setzen. Kein Wunder also, dass die Bundespartei nun alle Kraft in die Unterstützung der Sachsen-Anhalter Kandidatur steckt. “Volle Kanne in den Wahlkampf” hieß der etwas seltsam formulierte, inzwischen aber entfernte Leitspruch auf der grünen Bundeswebsite. Statt auf einer Umfragewelle von Wahlsieg zu Wahlsieg surfen zu können, ist man wieder auf sich selbst zurückgeworfen.  Die Medien machen sich daran, den von ihnen selbst nach Kräften geschürten Grünenhype zu relativieren und je nach Ausrichtung auch gezielt nach unten zu schreiben. Jetzt zahlt es sich aus, dass güner Bundesvorstand und Fraktionsvorstand die Basis wieder und wieder aufgerufen hatten, kritisch zu bleiben und sich von den Umfragewerten nicht einlullen zu lassen.

 

Aber auch wenn sich in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Bremen und Berlin die Wahlergebnisse sich jetzt nicht auf dem erhofften hohem Niveau, sondern “nur” auf einem erhöhten Niveau einpendeln sollten, der bündnisgrüne Aufbruch  in Deutschland setzt sich dennoch fort. Wichtigster Indikator hierfür sind die steigenden Mitgliederzahlen, die alle bisherigen  Rekorde schlagen. Gerade noch das 50.000 Mitglied begrüßt,  überspringen die Grünen bundesweit gerade die 54.000er Marke, Tendenz: weiter rapide steigend. Gleiches in den Landesverbänden, die allesamt ihre früheren Rekordmarken aus der Zeit vor Bosnien, Kosovo und Afghanistan einstellen. Die Frage ist nicht nur, wie all die neuen meist hochmotivierten Mitglieder in den Parteiapparat eingebunden werden können, sondern viel stärker welche politischen Überzeugungen sie in die Partei einbringen und welche inhaltlichen Schwerpunktverschiebungen sich daraus ergeben können.

 

Eine grundsätzliche Neuorientierung der Partei ist aus dem Mitgliederzuwachs aber eher nicht zu erwarten. Die Bereitschaft Regierungsverantwortung anzustreben und hierfür Koalitionen einzugehen steht ebensowenig in Frage wie der Kurs grüner Eigenständigkeit. Koalitionsbildung auf Basis eigener Stärke und die Bereitschaft  im Fünf-Parteiensystem auch einmal auf eine Regierungsbeteiligung zu verzichten, wenn inhaltlich substantiell nichts zu erreichen ist, zeichnet diese Position aus.

 

Schwarz-grün auf Bundesebene wird nach Aufkündigung des Atomkonsenses durch schwarz-gelb als Thema zwar für längere Zeit erst einmal  wieder an die akademische Runden delegiert werden, ist damit jedoch nicht für immer erledigt. Gleiches gilt für rot-rot-grüne Optionen.  Wahrscheinlicher ist aber, dass eine gestärkte und geläuterte SPD auch wieder in der Lage sein wird auf Bundes- und Landesebene den Bündnisgrünen Koalitionsangebote auf Augenhöhe zu machen. Nicht zuletzt der herablassende Umgang der Sozialdemokraten mit ihren bündnisgrünen Koalitionspartnern in all den Jahren vor 2005 in Hessen,  Hamburg und  Nordrhein-Westfalen (NRW) hatte ja schwarz-grüne Bündnisse für viele Bündnisgrüne erst diskussionsfähig gemacht. Zumindest in NRW scheint mit der Bildung der rot-grünen Minderheitsregierung diese Epoche zu Ende gegangen zu sein. Jetzt wird es davon abhängen, ob die SPD mit der  Ära ihrer starken Männer  ihrer Raus, Clements und Schilys nicht nur in NRW sondern bundesweit abgeschlossen hat.

 

Fortsetzung folgt nach den Wahlen in Banden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 27. März 2011.