„Debatte zum
Heer läuft absurd“
Univ.-Prof.
Heinz Gärtner, sicherheitspolitischer Experte, fordert vor der Volksbefragung
Beschluss der Sicherheitsdoktrin.
Herr Professor, haben Sie angesichts der laufenden Debatte zur Zukunft
des Bundesheeres den Eindruck, dass es sich hierbei um eine
sicherheitspolitische Debatte handelt?
Heinz Gärtner: Nein, derzeit
haben wir es mit einer innenpolitischen, parteipolitischen Debatte zu tun. Die
sicherheitspolitische Debatte wurde im Zusammenhang mit der Sicherheitsdoktrin
geführt. Zwar ist diese neue Sicherheitsdoktrin weitestgehend ausverhandelt,
aber noch nicht beschlossen. Zudem wurde dabei die Frage nach der Wehrpflicht
ausgeklammert.
Zeigen die bislang bekannten Punkte der neuen Sicherheitsdoktrin eine
Präferenz für ein Berufsheer oder für die Beibehaltung des bekannten Modells
mit Wehrpflicht?
Gärtner: Vom Prinzip her sind
beide Modelle mit der neuen Sicherheitsdoktrin kompatibel. Die neue
Sicherheitsdoktrin wurde notwendig, weil sich die Welt geändert hat. So lauert
nicht mehr die Gefahr aus dem Osten, damit verschieben sich auch die
Schwerpunkte weg von der Territorialverteidigung. Zudem bekommen internationale
Einsätze immer mehr Bedeutung. In der globalisierten Welt kommen daher auch für
Österreich mehr Einsätze im Zusammenhang mit der Europäischen Union
einschließlich der Battlegroups sowie zu den Peace-Keeping- und Peace-Building-Einsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen und zur
Teilnahme an der NATO-Partnerschaft für den Frieden hinzu.
Angesichts dieser neuen Aufgaben des Bundesheeres: Ist dies Ihrer
Meinung nach besser mit einem Berufsheer oder mit dem bisherigen Modell mit der
Beibehaltung der Wehrpflicht zu bewerkstelligen?
Gärtner: Wenn man die
Konzentration auf die Auslands-einsätze lenkt, dann ist ein Berufsheer klar zu
befürworten. Jedes Militär weltweit wird aber seine Territorialverteidigung
nicht aufgeben. Das Ausmaß der Territorialverteidigung ist im Zusammenhang mit
der neuen Sicherheitsdoktrin zu klären, denn davon hängt die Verteilung der
Truppenstärke ab. Die alte Sicherheitsdoktrin war noch zu sehr vom Denken des
Kalten Krieges geprägt.
Im Zusammenhang mit der Zukunft des Heeres bekommt in der Argumentation
auch der Katastrophenschutz eine wichtige Bedeutung.
Gärtner: Auch hierbei ist
Professionalität gefragt. Beim Katastrophenschutz braucht es Spezialeinheiten.
Aber es ist durchaus eine absurde Debatte auszumachen. Das Bundesheer ist in
erster Linie sicherheitspolitisch zu definieren. Neben dem Katastrophenschutz
wird vor allem der Zivildienst als Argument für die Beibehaltung der
Wehrpflicht herangeführt. Ich begrüße durchaus die Einführung eines
freiwilligen Sozialdienstes als Ersatz für den Zivildienst, aber es macht doch
keinen Sinn, die Wehrpflicht zu behalten, damit der Zivildienst nicht
abgeschafft wird.
Damit sind wir aber beim Kernproblem der laufenden Debatte angelangt. Es
geht bei der Debatte über die Zukunft des Bundesheeres nicht primär um
Sicherheitspolitik …
Gärtner: … sondern darum, ob sich
einer der beiden Koalitionspartner Vorteile für die kommenden
Nationalratswahlen erarbeiten kann. Ich hoffe, die sicherheitspolitischen
Aspekte werden nun Platz in der Debatte erhalten. Das ist dringend notwendig.
Ich bin deshalb der Meinung, dass vor einer Volksbefragung die neue
Sicherheitsdoktrin beschlossen werden soll.
Ist Ihrer Meinung nach ein Berufsheer ein weiterer Schritt weg von der
Neutralität?
Gärtner: Nein, hier gibt es
keinen Zusammenhang. Neutralität heißt heute verfassungsmäßig verbriefte
Bündnisfreiheit. Und ein Ende der Neutralität heißt NATO-Mitgliedschaft. Dass
Österreich eine NATO-Mitgliedschaft braucht, bezweifle ich.
Das Gespräch führte Michael Sprenger
Tiroler Tageszeitung, Printausgabe vom Fr, 31.08.2012