Axel Vogel ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im brandenburgischen Landtag, er beantwortet Fragen für sicherepolitik

 

Bei den Bundestagswahlen haben Bündnis 90/Die Grünen nur 10,7 Prozent erreicht, obwohl Umfragen sie vorher bei 12 – 13 % sahen. Enttäuscht?

 

Axel Vogel, A.V.: Keinesfalls! Ein zweistelliges Ergebnis auf Bundesebene ist mehr als wir uns vor wenigen Monaten noch vorstellen konnten. Die Begeisterung für das historisch beste Wahlergebnis leidet allerdings, wenn man den Vergleich zur Konkurrrenz zieht. Linke und FDP haben stärker zugelegt und sind weiterhin stärker als wir Bündnisgrünen geblieben.

 

A.V.: Wahlprognosen sind in Deutschland immer mehr zur Kaffeesatzleserei geworden. Neben methodischen Schwächen bei der telefonischen Datenerhebung aufgrund immer zahlreicher werdender Auskunftsverweigerer und der Beschränkung auf Festnetznummern, fällt es schwer die Last-Minute-Entscheider adäquat zu erfassen. Längerfristige Parteibindungen entfalten immer weniger Wirkung, inzwischen soll sich fast jeder zehnte Wähler erst am Wahltag entscheiden, rund ein Fünftel erst in der letzten Woche.

 

Gab es Auswirkungen des Bombenabwurfs in Afghanistan auf das Wahlergebnis?

 

A.V.: Es ist nicht auszuschließen, dass der von Oberst Klein in Kundus angeforderte Bombereinsatz auch Kollateralschäden für SPD und Grüne in Berlin zur Folge hatte. Sicher ist, dass bis dahin das Thema Afghanistan im beginnenden Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle spielte. Nach dem zeitweiligen Abtauchen der Bundesregierung und des von der SPD gestellten Bundesaußenministers und der anschließenden uneingeschränkten Verteidigung des Bombardements, schoss die Linke in den Umfragen nach oben. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt das Thema Afghanistan bereits aufgegriffen und  mit der Forderung nach einem Sofortabzug bereits bundesweit plakatiert. Die von den Grünen schon seit längerem vertretene differenzierte Position (Strategiewechsel, Zielvorgaben, Exitstrategie)  hatte es dagegen zunächst schwer öffentlich wahrgenommen zu werden.

 

War die Piratenpartei eine ernstzunehmende Konkurrenz?

 

A.V.: Die neu gegründete Piratenpartei hatte bereits bei den Europawahlen mit ihren Ergebnissen in Schweden und Deutschland (0,9%)  aufmerken lassen. Inhaltlich gibt es  Berührungspunkte, z.B. zum Datenschutz und zu  Netzsperren. Diese Gemeinsamkeiten trugen dazu bei, dass ihr neu gewählter schwedischer Europaabgeordneter  der grünen Fraktion im EP beitrat. In Deutschland hat die Piratenpartei insbesondere bei jungen Männern gepunktet (13 %) und mit einem Anteil von 2 % aller Wähler ihre Stimmenzahl innerhalb von 3 Monaten verdreifacht.  Es gab im Vorfeld der Wahlen auch einen echten Medienhype für die Piraten als „Partei Neuen Typs“. Konkurrenz war sie also sicherlich, ich bezweifle aber, dass das Ergebnis schwerpunktmäßig auf unsere Kosten ging. Ich denke, die Piraten als heterogene Partei mit einem sehr eingeschränkten Politikangebot haben bei allen Parteien Stimmen abgezogen. Bisher sind die Piraten auch recht wahllos was die Aufnahme neuer Mitglieder betrifft, so bestehen erste Zweifel an einer klaren Abgrenzung gegen rechts.  Wenn wir die Piraten nicht demnächst als weitere Parlamentspartei erleben wollen, wird es für uns Grüne darauf ankommen, in unserer Programmatik und unserer Arbeit im Bundestag und den Landesparlamenten ihren Wählern ein zugkräftiges Politikangebot zu machen.

 

Wie sieht es für die Grünen im Osten aus? In Brandenburg ist es mit dem Einzug in den Landtag ja etwas knapp gewesen.

 

A.V.: Richtig ist, dass die Grünen in den neuen Bundesländern strukturelle Schwächen haben. Diese liegen unter anderem in der kontinuierlichen Abwanderung hochmobiler Menschen aus traditionellen grünen Milieus begründet, insbesondere der Abwanderung  junger Frauen. In Brandenburg wird dies zunehmend kompensiert durch die Zuwanderung junger Familien in das Berliner Umland, in Thüringen und Sachsen durch die Herausbildung städtischer und studentischer Milieus. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken.  Immerhin ist es uns dieses Jahr gelungen mit der Wiederwahl in den sächsischen Landtag (6,4 %) und dem Einzug in die Landesparlamente von Thüringen (6,2%) und Brandenburg (5,7%) den Grundstein für eine wirksamere politische Arbeit in den nächsten Jahren zu legen.  In Brandenburg hingen uns jahrelang die Folgen der Konkurrenzkandidatur zwischen Bündnis 90 und den Grünen  bei der ersten Wahl 1990 nach. Der heutige Ministerpräsident von Brandenburg Matthias Platzeck war ja ursprünglich für Bündnis 90 Umweltminister im ersten Brandenburger Kabinett. Er vollzog aber die Vereinigung von Bündnis 90 und den Grünen nie mit und gab seit seinem Wechsel zur SPD stets den  Kronzeuge gegen Bündnis 90/Die Grünen hierzulande, die er gerne als unpolitische Chaotentruppe darstellte. In den letzten fünf Jahren  rotschwarzer Politik auf Landesebene stellte sich aber für jedermann erkennbar immer mehr heraus, dass nicht Platzeck die SPD zu einer modernen sozial-ökologisch orientierten Partei umgeformt hatte, sondern vielmehr die Brandenburger SPD ihren einstigen Hoffnungsträger zu einem Wachstumsapologeten und Kohlepolitiker traditioneller Machart umgeformt hat.  Schade drum.

 

Die SPD hat sich in Thüringen für schwarz-rot und in Brandenburg für rot-rot entschieden, die Grünen im Saarland für Jamaika – tanzt jetzt jeder mit jedem orientierungslos herum?

 

A.V.: In einem 5-Parteiensystem muss das Lagerdenken aufgebrochen werden, wenn nicht immer wieder nach unpassenden Wahlergebnissen  Neuwahlen ausgerufen werden sollen. Die Wähler wählen nicht Koalitionen sondern Parteien und sie haben ein Recht darauf, dass die von ihnen gewählten Parteien ihre Programmatik nicht nur referieren, sondern deren Inhalte in Regierungshandeln auch verwirklichen wollen. Insofern sind sowohl die schwarz-grüne Koalition in Hamburg wie auch die rot-grüne Koalition in Bremen und demnächst wohl auch die schwarz-gelb-grüne Koalition im Saarland Versuche die ökologisch-soziale Modernisierung unserer Industriegesellschaft und den Umbau unseres Bildungssystems unter grünen Vorzeichen voranzutreiben. Entscheidend ist dabei, was inhaltlich bewegt werden kann. Regierung um jeden Preis kann daher genauso wenig wie Opposition um jeden Preis grüne Handlungsmaxime sein.

 

Die SPD muss sich als größte Oppositionspartei im Bund natürlich jetzt überlegen mit welcher Strategie sie die Zeit bis 2013 überbrücken will. Will sie in schwarz-roten Landesregierungen über den  Bundesrat die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung mit beeinflussen oder will sie eine klare Oppositionsstrategie fahren. Jeder weiß, dass die SPD weder alleine noch  im Verbund mit den Grünen auf absehbare Zeit im Bunde mehrheitsfähig werden wird. Will sie nicht dauerhaft auf Koalitionen mit der CDU als einzige Option festgelegt sein, dann liegt es in ihrem ureigenen Interesse die Zusammenarbeit mit der Linken zu enttabuisieren.  Dieser Prozess kann nur auf Landesebene in Gang gesetzt werden. Insofern ist die Entscheidung von Matschie in Thüringen für schwarz-rot ein retardierendes Moment, der zudem die dortige SPD an den Rand der Spaltung bringt.