In Deutschland
gibt es keine Atomparteien mehr
38 Jahre nach der öffentlichen
Bekanntgabe der Planungen für ein Atomkraftwerk in Wyhl
am Rhein, dem Startschuss für die bundesrepublikanische Anti-AKW-Bewegung
und 31 Jahre nach Gründung der Partei
Die Grünen, der für lange Jahre einzigen Anti-Atom-Partei Deutschlands gibt es
hierzulande mit dem heutigen Tage keine einzige politisch nennenswerte Kraft
mehr, die in ihrem Parteiprogramm auf eine längerfristige Atomkraftnutzung
setzt.
Wer dies nach der von
schwarz-gelb erst vor 6 Monaten mit den Stromkonzernen vereinbarter
Verlängerung der Atomrestlaufzeiten vor kurzem noch für möglich gehalten hätte,
hätte wohl zu Recht als Träumer gegolten. Den Unterschied zum vorherigen Stand
machen die Ereignisse von Fukushima, den
Unterschied zu anderen Ländern macht aber auch eine breite, bis weit in die
bürgerliche Mitte reichende deutschlandweite Anti-Atomkraftbewegung, die im
letzten halben Jahr mit dezentralen wie
zentralen Demonstrationen, Menschenketten, Mahnwachen die öffentliche Meinung
auf ihre Seite brachte. Den Unterschied zu früheren Zeiten macht allerdings
auch eine Bundeskanzlerin, die die eigenen Zweifel an der Atomkraft auch zuließ
und ihre eigene Partei und ihren Koalitionspartnern eine Kehrtwende in deren
seit den 50er Jahren bestehenden pro-Atomkraft-Position aufzwang.
Vieles von dieser Kehrtwende mag
strategischer Natur sein, ein Versuch
der Kanzlerin ein Thema, bei dem die Union nicht mehr gewinnen kann, von der politischen Tagesordnung zu nehmen und so den Grünen das
Wasser abzugraben. Genauso wie es der Union innerhalb weniger Jahre gelang, den
Kulturkampf abzublasen und die bis vor
kurzem noch mit Verve geführten Auseinandersetzungen um die Gleichberechtigung
homosexueller Lebenspartnerschaften zu beenden. So wie damit die Frage der eigenen sexuellen Orientierung
nicht mehr das entscheidende Wahlkriterium für viele Schwule und Lesben war,
so ist dem aktuellen Agieren die
Hoffnung anzumerken, hier ein weiteres
Minus-Thema für die Union abräumen zu können.
Immerhin gelang es der Kanzlerin
mit ihrem Ausstiegsgesetz Bündnis90/Die
Grünen zu einem spannungsgeladenen Parteitag zu bewegen, der von zahlreichen Medien
als Nagelprobe für die politische Ernsthaftigkeit der Partei gewertet wurde. Im
Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung ging es auf dem Parteitag dabei weniger
um inhaltliche Konflikte; das Ziel aller Grünen, alle 16 deutschen
Atomkraftwerke so schnell wie möglich und die letzten nicht erst 2022
abzuschalten war unumstritten. Die Diskussionen zur Beschlussfassung eines
inhaltlich weitgehend unstrittigen Textes
kreisten um die eher „taktische“
Frage, ob die Bundestagsabgeordneten dem Ausstiegsgesetz der Koalition,
d.h. sofortige Stillegung der 7 ältesten deutschen AKWs und des
„Pannenreaktors“ Krümmel und gestaffelte
Abschaltung der übrigen 9 AKWs zustimmen sollten. Am Ende siegte die
„realpolitische Mehrheit“, die es für wenig vermittelbar hielt ein Gesetz
abzulehnen, das verglichen mit dem früheren rot-grünen Ausstiegsprogramm
eine deutliche Verbesserung darstellte.
Auch wenn alle Grünen eine weitergehende Verkürzung der Restlaufzeiten nach der nächsten Bundestagswahl anstreben,
fand sich dennoch kein Redner, der hierfür irgendeine Hoffnung in den
prospektiven neuen und alten Koalitionspartner SPD setzte.
Überhaupt ist die Renaissance
rot-grüner (Landes-)Regierungen die eigentliche Überraschung der letzten
Monate. Im Gegensatz zu Hamburg mit seinem wenig repräsentativen Wahlsieg einer
rechten SPD haben in der Folge die bündnisgrünen
Wahlergebnisse den Sieg des rot-grünen (oder grün-roten) Lagers gesichert. Mit
zu den erstaunlichsten Ereignissen der letzten Monate zählte der Auftritt des
alten und neuen SPD-Ministerpräsidenten von Rheinland Pfalz, Kurt Beck, der
einen Verlust von 10 Prozentpunkten als SPD-Sieg feierte. Kurzerhand wurde da
der Zuwachs der Grünen von 4,6 % auf
15,4% zum integralen Bestandteil eines deklarierten SPD-Wahlsieges. Ähnlich in
Baden-Württemberg, wo das historisch schlechteste Wahlergebnis der SPD von 23,1
% zum Auftrumpfen gegenüber den grünen Wahlsiegern (Anstieg von 11,7% auf 24,2
%) genutzt wurde.
Mit der unterschwelligen Drohung,
dass eine grün-rote Parlamentsmehrheit nicht unbedingt zur Wahl eines grünen
Ministerpräsidenten führen müsste, ertrotzte sich die BaWü-SPD
, die sich dabei zugleich als knallharte Verfechterin von Industrieinteressen
gerierte, eine Überzahl an Ministerposten in der grün-roten Landesregierung und
besetzt nun alle klassischen Ministerien von Haushalt über Justiz bis zur
Innenpolitik. Die baden-württembergischen Grünen deuten dieses Nachgeben in
einen klugen Schachzug um, der der SPD die „Verwaltungsministerien“ und den
Grünen die „Gestaltungsministerien“ überlässt. Der Formelkompromiss um den
Bahnhofsausbau Stuttgart 21 (Die SPD-Führung ist dafür, die Grünen sind
dagegen) mit der vorgeblichen Lösung des Konflikts über einen landesweiten
Volksentscheid im Herbst, bei dem die Ausbaugegner nicht nur eine Mehrheit
unter den Abstimmenden, sondern auch ein Quorum von 1/3 der Wahlberechtigten
erreichen müssen, lässt schon erkennen, wohin die Reise geht. Bereits die
Regierungsbildung war von öffentlichen SPD-Attacken sowohl gegen inhaltliche
Positionen wie gegen Führungskräfte der Grünen geprägt. Diese kalkulierte
Konfliktstrategie hat allerdings in der bislang einzigen Umfrage nach der Regierungsbildung allein der
SPD geschadet und die baden-württembergischen Grünen auf 30 Prozent hoch
katapultiert.
Die Wahl in Bremen endete wie
erwartet mit einem rot-grünen Wahlsieg, zu dem die Grünen mit plus 6 %
wesentlich beigetragen hatten. Da die SPD damit den Grünen ein Ministerium
abtreten musste und die SPD-Führung sich
hier erstmalig in Deutschland für die
Abgabe des Sozialministeriums an die Grünen entschied, kassierte der
Koalitionsvertrag auf dem SPD-Parteitag etliche Gegenstimmen. Im Gegensatz zu
Baden-Württemberg besteht an der Stabilität dieser Koalition für die gesamte
Dauer der Legislaturperiode allerdings kein Zweifel.
Das Umfragehoch der Grünen und
die damit verbundenen Wahlergebnisse in den Ländern, hatten aber noch den
Nebeneffekt, dass es in Nordrhein-Westfalen trotz mehrfacher gegenseitiger
Drohungen von SPD und CDU eine Auflösung des Landtages und Neuwahlen
herbeizuführen nie zu einer entsprechenden Antragstellung im Landtag kam. So
sind die hohen Umfragewerte der Grünen der Garant für die Stabilität der
dortigen Minderheitsregierung. Außer den Grünen können alle Parteien bei
vorgezogenen Neuwahlen nur verlieren und so lässt die Linke als quasi
„Tolerierungspartner“ Gesetzentwurf für
Gesetzentwurf der Landesregierung den
Landtag passieren und segnete auch den letzten Haushalt mit ab.
Beunruhigend für die Grünen
müssen dagegen die exorbitanten Erfolge bei den Kommunalwahlen in Hessen sein.
Fast in allen Gemeinden, in denen die Grünen antraten, wurde die 20 Prozent
Marke geknackt, in Darmstadt ein grüner Oberbürgermeister im 2. Wahlgang mit
2/3-Mehrheit gegenüber dem bisherigen SPD-Amtsinhaber gewählt. Das Hauptproblem
für die Partei ist aber, dass die Mitgliederbasis mit solchen Wahlerfolgen
bislang nicht Schritt hält. Zwar steigen die grünen Mitgliederzahlen im
Tagesrhythmus an und die 60.000er-Schwelle dürfte dieses Jahr noch
überschritten werden, aber was sind solche Zahlen verglichen mit SPD und CDU,
die über jeweils rund 500.000 Mitglieder verfügen. Und dieses Jahr kommen außer
den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auch noch
Kommunalwahlen in Niedersachsen auf die dortigen Grünen zu.
Demnächst dürfte also bald jedes
grüne Mitglied ein Kommunalmandat innehaben.
Die Frage bleibt, ob es mit dem
Siegeszug von Bündnis90/Die Grünen so weiter geht.
Die die Grünen sind jetzt stärker im
Fokus der Medien, zugleich sind die anderen Parteien wohl eher nicht geneigt dem Erfolgslauf
tatenlos zuzusehen. Der schwarz-gelbe Atomausstieg wie der harsche Konfliktkurs
der Berliner SPD gegen die dortige grüne Spitzenkandidatin Renate Künast lässt
ein zunehmendes Kämpfen mit härteren Bandagen erwarten. Missdeutbare
Äußerungen, wie Aussagen des Baden-Württembergischen Verkehrsministers Winfried
Herrmann zum Stresstest für den geplanten Tiefbahnhof S 21 werden sofort breit
berichtet und führen zu Rücktrittsforderungen durch die CDU, flankiert von kritischen Stimmen aus der
SPD. Die
sofort mit der Suspendierung geahndete Trunkenheitsfahrt des Berliner
Wahlkampfmanagers von Renate Künast wird zur Staatsaffäre.
Gleichzeitig spekulieren einige
Medien darauf, dass den
Grünen mit dem nun beschlossenen Atomausstieg die Themen weg brechen und die
Umfragewerte demnächst wieder in den Keller gehen. Warten wir es ab.
30. Juni 2011, Axel
Vogel, MdL