Wie Afghanistan die Grünen verändert hat

Phil Hill, Berlin August 2013

 

Januar 2013, in Berlin trifft sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationales von Bündnis90/Grüne. Die BAGs vertreten die thematisch engagierte Basis der Partei, liefern Zuarbeit für die Abgeordneten. Dreimal im Jahr versammeln sich die Delegierten, die die Basis auf Landesebene vertreten, und beschließen Empfehlungen für die Parteipolitik, oft als Anträge, die dann auf Parteitagen („Bundesdelegiertenkonferenzen“) abgestimmt werden, als Entschließungen, programmatische Erklärungen, oder gar als Teile von Wahlprogrammen. Es ist eine Sondersitzung und es geht um den Afghanistaneinsatz.

Beinahe 15 Jahre sind es her, da hat die Partei das hier zuständige Ministerium übernommen – doch das Amt ging nicht an einem aus diesem Kreis: Joschka Fischer hatte sich noch nie hierhin verirrt und tat es auch in den nächsten sieben Jahren nicht, trotz gegenteiligen Versprechens. Denn diese BAG war schon immer eine Hochburg seiner linken innerparteilichen Gegner gewesen, deren Diskussionen im Vorfeld der siegreichen Wahl 1998 sich etwa um die Forderung gedreht hatten, Deutschland müsse zum „Kriegsdienstverweigerer unter den Völkern“ werden. Dann folgte schon als Fischers erste wichtige Amtshandlung der Eingriff in den Kosovokrieg, was hier auf massiven Wiederstand, auch mit vielen Austritten, stieß.

Doch einer, mitunter sein extremster Widersacher, blieb, bis heute: Der Hamburger Ulli Cremer, Pazifist und Gegner jedweder militärischer Handlung. Vor allem jeder deutschen. Jetzt, 2013, geht es um Afghanistan, um die Position im Wahlkampf und Cremer will – wen wundert’s? – den sofortigen Abzug, noch in diesem Jahr. Immerhin muss sich doch ein Pazifist deutlich vom Verteidigungsminister unterscheiden und im nächsten Jahr, 2014, will auch dieser Minister seine Jungs heimholen. Aber selbst der Einsatz bis 2014 braucht eine neue jährliche Zustimmung des Bundestages. Sollen die Grünen wieder – zumindest mehrheitlich – ihr „Ja“ geben?

Der Münsteraner (inzwischen ex-)MdB Winfried Nachtwei, angesehener Militärexperte der Partei, sieht keinen Grund, jetzt plötzlich dagegen zu stimmen, gerade diese Mandatierung beziehe sich doch im Wesentlichen auf die Aufbauhilfe. So begnügt sich die BAG mit einem Abzug im Jahre 2014 – hoffentlich unter rot-grüner Regie. Diese Empfehlung geht an den Bundesparteitag, und kommt schließlich auch ins Wahlprogramm. Ulli Cremer hat nur ganz selten ein Erfolgserlebnis in dieser Partei.

Zumal er gern gegen solche Windmühlen anreitet, nachdem die eigentliche Schlacht längst verloren ist (man entschuldige gerade hier die militaristische Metapher). Eigentlich geht es nicht darum, wann die meisten Truppen abziehen, sondern darum, dass noch etliche bleiben werden, zur Ausbildung der afghanischen Polizei und der Armee, sowie zum Schutz des Aufbaus. Und da ist die Frage: Wie viele, wie lange und haben sie immer noch u.U. einen Kampfauftrag? Klar, auch dieses Thema hat Cremer aufgeworfen. Doch auch hier kann er nicht gewinnen: Denn er kann schlecht argumentieren, dass z.B. einem friedenserhaltender Auftrag mit Segnung der Vereinten Nationen nicht zuzustimmen sei. Wenn er aber etwa noch so harte Bedingungen für den Einsatz durchsetzt, damit sie keinen „Kampfauftrag“ erhält, hat er immer noch keine Rückkehr zur alten Verweigerungshaltung bewirkt, sondern lediglich den Rahmen für die Interventionen der Zukunft mitdefiniert.

Denn inzwischen hat sich die grüne Außen- und Sicherheitspolitik grundlegend geändert und weiterentwickelt. Im März 2006, ein halbes Jahr nach Einnahme der Plätze auf der Oppositionsbank, hielten die Grünen ihren Zukunftskongress in Berlin, um zu sehen, wie es weitergehen sollte. Dazu gehörte das seit der Jahrtausendwende international diskutierte Thema der „Schutzverantwortung“ (oft auch englisch „Responsibility to Protect“ oder „R2P“ genannt), wobei etwa die Erfahrungen von  Bosnien, Kosovo und Ruanda eine wichtige Rolle spielten. Sollte die Frage eines Eingriffs, etwa um ein Völkermord zu verhindern, wirklich nur im Spannungsfeld von „Großmachtpolitik“ einerseits und „nationaler Souveränität“ andererseits geregelt werden? Oder hatte nicht die Weltgemeinschaft die Verantwortung, Menschenleben gegen Gewalttäter, friedliche Gemeinschaften gegen mörderische Tyrannen, zu schützen? Ersteres spiegelte den Begriff der Weltordnung aus der Zeit des Kalten Krieges wieder – im Wesentlichen war dies das vom Ostblock und den von ihnen in der 3. Welt unterstützten Befreiungsbewegungen entwickelte Weltbild. Den Ostblock gab es aber längst nicht mehr, und auch die Befreiungsbewegungen hatten als positives Identifikationsbild ziemlich ausgedient. Damit war aber auch das gesamte Paradigma eigentlich erledigt, denn hatte man vor der Wende für weder das Eine noch die Anderen besonders große Leidenschaft gehegt, so hielt die bloße Tatsache, dass es sie gab, die Gegensätzlichkeit aufrecht, in der die kapitalistischen Industriestaaten das zu überwindende Böse darstellten. Und eben das war nun vorbei.

Doch damit nicht genug: nun reklamierten diverse Nachfolge-„Antiimperialisten“, etwa in Ruanda, im Sudan oder in ex-Jugoslawien, das Recht, im Namen der „Befreiung“ unbehelligt Massenmorde zu begehen. Und Linke im Westen – einschließlich der Grünen in Deutschland – taten sich schwer,  die stets als völkerrechtlichen Schutzschild gegen die Großmächte verteidigte Souveränität fallen zu lassen. Dennoch: Schleichend griff, in diesem wie in anderen Bereichen, eine neue Sicht um sich, die die Weltordnung nicht ablehnte sonders anders wollte, man war z.B nicht „gegen“ die Globalisierung, sondern „für“ eine andere, inhaltlich und nicht ideologisch definiert. Die am radikalen Rand herumspringenden Antiimpis, für die Serbien auch unter Milosevic noch heldenhaft und an vorderster Front gegen „Großdeutschland“ focht und die Taliban nur die Abwehr gegen die britischen Hindukusch-Armee weiterführten, verschwanden immer mehr aus dem Blickfeld.

Die Grünen hatten zwar seit ihrem anderen Abzug, nämlich aus der Regierungsverantwortung 2005, die eine oder andere Politik der Schröder-Fischer-Regierung rechts liegen gelassen, in der Frage des Afghanistan-Einsatzes fanden sie aber nie wieder zur „sofort-raus!“-Position zurück. Nun, 2006, stand das zwar intern zur Debatte, gerade die parteinahe Basis, nämlich die NGO-VertreterInnen, die am Hindukusch die Aufbauarbeit leisten, waren es allerdings, die unmissverständlich klarmachten: Wenn die Truppen sich zurückziehen, können wir entweder in die letzte Maschine steigen, oder wir sind am nächsten Tag tot.

Da auch noch das deutsche Einsatzgebiet lange Zeit ruhiger war und Aufbauerfolge zeigte – bzw. bei der Mohnernte sogar Abbauerfolge –, ließ sich das immer wieder rechtfertigen: Man stimmte auch aus der Opposition heraus für die Mandatsverlängerungen. So meinte etwa Jürgen Trittin in einem Schreiben an den westfälischen Parteipromi Wilhelm Achelpöhler[PH1] :„Parallelen zur sowjetischen Besatzungszeit, die mehr als 1 Million Afghanen und 15.000 sowjetischen Soldaten das Leben gekostet hat, sind ebenso fehl am Platze wie Vergleiche mit der Situation im Irak.” Und ein Diskutant im BAG-Blog meinte, in Richtung der Cremers und Achelpöhlers, sie forderten Bedingungen für den Einsatz, „mit der Hoffnung, dass sie nicht erfüllt werden, und wir dann, trotz allem und natürlich schweren Herzens, auf unsere eigentlich gewünschte Position zurückkönnten, nämlich BW raus!“ Dann sei man wieder da, wo der deutsche Pazifist sein wolle, „wie es im Gedicht von Matthias Claudius aus der Zeit der Kabinettskriege zum Ausdruck kam: ‚Ist Krieg! Und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!‘ Mehr begehre ich nicht, ich bin klein, mein Herz ist rein.“ Doch diese Kritik traf immer weniger zu. Gerade die jüngeren, ohne Erinnerung an den antiimperialistischen Kämpfen der 70er Jahre, gingen nicht mehr mit, auch wenn radikale Positionen der Grünen Jugend bisweilen andere Eindrücke vermittelten.

Nach der nächsten verlorenen Wahl 2009 lief die Diskussion weiter, 2010 forderten die Linken, angesichts der deprimierenden Lage, erneut den Abzug. BAG-Sprecher Felix Pahl versuchte die Wellen zu glätten: „Bliebe die Frage, ob die NATO mit einer optimalen Strategie überhaupt noch einen positiven Beitrag leisten könnte. … Was am stärksten dagegen spricht, ist die korrupte Karsai-Regierung und ihre sinkende Legitimität. Das Argument, dass ISAF eine Bürgerkriegspartei auf der Seite der Partikularinteressen der Regierung geworden ist, gewinnt an Gewicht … . Eine ‚Aufbauperspektive‘ müsste [u.a.] … dezentrale und traditionale Governance-Strukturen nutzen und Aufständische politisch einbinden. Dagegen sehe ich in Bezug auf die Akzeptanz der internationalen Truppen keinen point of no return überschritten. Da es selbst nach all den zivilen Opfern immer noch eine erstaunlich verbreitete, wenn auch weiter sinkende, Akzeptanz gibt, denke ich eher, dass diese auch wieder steigen würde, wenn der respektvolle Umgang mit der Bevölkerung, … tatsächlich umgesetzt werden würde.“ Ob und wie man die (Nicht-)Erfüllung solcher Bedingungen prüfen könne und was dann die Konsequenzen wären, blieb und bleibt die unbeantwortbare Frage.

2012 fanden dann – auch, aber nicht nur bei den Grünen – umfangreiche Diskussionen zur Schutzverantwortung in außen- und sicherheitspolitisch engagierten Kreisen statt. Mehrere BAG-Sitzungen trieben die Diskussion voran, im Herbst wurde ein Entwurf für den Bundesparteitag vorgelegt. Der Parteitag, der auch die Weichen für das Wahljahr setzen sollte, tagte dann im November in Hannover und verabschiedete eine leicht modifizierte Version davon, der bereits in der Einführung feststellt:

„BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bekennen sich … zu einer Fortentwicklung des Völkerrechts im Sinne der Schutzverantwortung. … Der Anwendungsbereich … beschränkt sich auf die vier Kernverbrechen Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen, umfasst aber das gesamte Spektrum an Maßnahmen und Instrumenten, das … zur Verfügung steht. Zu [ihr] gehört neben Prävention, Unterstützung und Reaktion auch die … nachsorgende Verantwortung für die Friedenskonsolidierung. verkürzt[PH2] .“

Im Kapitel IV wurde es dann deutlich:

„Im Ausnahmefall kann die Schutzverantwortung zu Militäreinsätzen führen, um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern oder zu stoppen. Als Mitglied der Vereinten Nationen ist die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich dazu verpflichtet, zur internationalen Friedenssicherung beizutragen[PH3] .“

Von den knapp 800 Delegierten stimmte nur einer dagegen: Der Hamburger UIli Cremer.

Was also bleibt damit von der alten linken Verweigerungshaltung? Eigentlich nur ein einziger Punkt: Die Forderung, die Schutzverantwortung sei im Rahmen der Vereinten Nationen auszuüben, womit zumindest ansatzweise eine Art globale Rechtstaatlichkeit gewährt werden soll. Doch auch hier war die Position eine deutliche Weiterentwicklung vor der der „wilden 90er“, als linke Grüne noch knallhart zwischen „Kapitel VI“- und „Kapitel VII“-Einsätzen[PH4]  unterschieden hatten, zwischen gerade noch akzeptablen „friedenserhaltenden“ und grundsätzlich abzulehnenden „friedenserzwingenden“ Maßnahmen also.

Jetzt geht es den Grünen darum, die VN als globale rechtliche Instanz zu stärken, notfalls auch über durch ihnen legitimierten Einsätzen und die Rolle etwa der NATO bei Einsätzen zurückzudrängen. Schon 2008 erwiderte Jürgen Trittin in einer Bundestagsdebatte auf die Linkspartei, die behaupteten, noch als einzige das Völkerrecht aufrechtzuerhalten, „Ich glaube, über Afghanistan werden wir noch viele Debatten führen. … In Pakistan bauen die USA jene Strategie aus, die in Afghanistan spektakulär gescheitert ist. Das ist das Problem. … Es handelt sich, liebe Völkerrechtspartei, um einen durch die Vereinten Nationen mandatierten Einsatz der NATO. Ein NATO-Mitglied wiederholt in Pakistan alle Fehler, die es im Vietnamkrieg schon einmal gemacht hat, und Sie sagen: Das geht uns nichts an. … Ich sage: Das geht uns sehr viel an.“[PH5]  Zwar argumentieren viele in völliger Unkenntnis der kaum vorhandenen militärischen Strukturen der VN, die dazu führen dass die Weltorganisation insbesondere bei „robusten“ militärischen Einsätzen auf die bestehenden Armeen angewiesen ist. Trotzdem ist diese Forderung nicht nur (aber sehr wohl auch) eine ideologische, die die „guten“ VN der „bösen“ NATO gegenüberstellt. Denn man lebt auch in der Praxis, dort geht es um Einsatztaktiken v.a. der USA, die immer nur aus 5 km Höhe bomben und so alles Mögliche treffen, die mit Kampfdrohnen ganze Dörfer auslöschen und die, wie das berüchtigte von Wikileaks veröffentlichte Video zeigte, bei Verdacht erst mal alle Leute erschießen, die man sehen kann und sie dann nachher in Gute und Böse sortiert. Auch andere haben natürlich Dreck am Stecken, aber der berühmte Fall des deutschen Angriffs auf einen gekaperten Tanklaster blieb, soviel wir wissen, ein deutscher Einzelfall.

Daher geht das grüne Schutzverantwortungskonzept weiter und fordert eine Weiterentwicklung des Völkerrechts hin zur Stärkung der VN-Vollversammlung,  ggf. auch durch eine Art Aufstand gegen das Diktat der Veto-Mächte:

„[E]in Nichthandeln aufgrund einer Blockade der Sicherheitsratsresolution [kann] das Völkerrecht und die Vereinten Nationen ebenso massiv beschädigen wie das Eingreifen ohne ein Mandat.“ Um das zu verhindern sollte die Generalversammlung „das Recht beanspruchen, … mit qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären und an seiner Stelle friedenserzwingende Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta zu beschließen[PH6] .“ Immerhin sei der Vorschlag nicht einfach ein grünes Hirngespinst, sondern entspräche einem Vorschlag Brasiliens, auch gäbe es in der „Uniting For Peace“-Resolution 377 von 1950 einen Präzedenzfall[PH7] .

Damals hatte die Sowjetunion versucht, die VN-Unterstützung für Südkorea durch die USA im Koreakrieg durch Abwesenheit vom Sicherheitsrat zu blockieren, da der Wortlaut der VN-Charta nahelegte, dass eine Einstimmigkeit aller ständigen Mitglieder notwendig sei, um Einsätze zu verhindern; das internationale Gericht urteilte allerdings, eine Abwesenheit mit der Absicht, das Gremium zu blockieren, habe keine Wirkung. Als der sowjetische Delegierte dann zurückkehrte, und versuchte, weitere Resolutionen durch Veto zu blockieren, erfanden die damals von den USA dominierte VN die „Sondersitzung“ der Vollversammlung, die mit einer qualifizierten Mehrheit anstelle des Sicherheitsrates tätig werden könne. Als dann 1956 gleichzeitig zwei solche Sondersitzungen beantragt wurden, einmal gegen eine britisch-französische Blockade in der Suezkrise und einmal gegen eine der Sowjets wegen ihres Vorgehens in Ungarn, merkten beide Seiten, wie bedrohlich diese Umgehungsmöglichkeit ihres Vetorechtes doch war und sie verschwand in der Versenkung. Doch der Präzedenzfall ist da: ganz so allmächtig wie immer vermutet ist das Vetorecht im Sicherheitsrat nicht.

Auch im Wahlprogramm für die anstehende Bundestagswahl spiegeln sich diese Entwicklungen wieder. Der Bundesvorstand wollte dabei wohl eher den Ball flach halten und lediglich verkünden, „Wir wollen den Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan bis 2014. Da die Konflikte in Afghanistan nicht militärisch zu lösen sind, wollen wir alles unternehmen, um über Verhandlungen und Gespräche eine Entschärfung zu erreichen.“ Außerdem wurde weitere Entwicklungshilfe in Aussicht gestellt.

Wie auch beim Thema Nahost-Frieden wollte es die BAG Frieden dann doch etwas genauer buchstabieren und bewirkte letztlich einen Text, der feststellt: „Der NATO-Einsatz im Rahmen von ISAF in Afghanistan wird 2014 abgeschlossen. Sollte die afghanische Regierung eine weitere Truppenpräsenz zur Überwachung eines Waffenstillstandes oder als Ausbildungsmission wünschen, muss dafür eine neue Rechtsgrundlage durch die VN geschaffen werden. Sie ist als peace-building mission zu mandatieren und soll als direkt geführte VN-Mission erfolgen – ohne Kampfauftrag und Aufstandsbekämpfung. Rechtzeitig vor dem Abzug der Bundeswehr wollen wir vor Ort ein Aufnahmeprogramm für Ortskräfte der Bundeswehr und deutscher Entwicklungsorganisationen einschließlich ihrer Familien durchführen. Denjenigen, die dies wünschen, muss also die Möglichkeit einer Aufnahme in Deutschland gewährt werden. Auch für Menschen, die in ihrem Leben oder in ihrer Gesundheit spätestens dann bedroht sind, wenn das Militär abzieht und die Macht neu verteilt wird, muss es eine Möglichkeit des Asyls geben. Von der Bundeswehr zu verantwortende zivile Opfer und ihre Angehörigen sind großzügig und unbürokratisch zu entschädigen. Da die Konflikte in Afghanistan nicht militärisch zu lösen sind, wollen wir alles unternehmen, um über Verhandlungen und Gespräche einen Aussöhnungsprozess zu beginnen. Und nur durch ein umfassendes und glaubwürdig finanziertes zivilgesellschaftliches und entwicklungspolitisches Programm, das die Stärkung der Frauenrechte im Blick hat, können wir den Wiederaufbau des Landes sicherstellen. Daher wollen wir die zivilen Mittel für Afghanistan mindestens im bisher erreichten Umfang aufrechterhalten[PH8] .“

Jede weitere Präsenz müsste also „ohne Kampfauftrag“ von der VN mandatiert sein, die Forderungen für Asyl für Mitarbeiter/innen legt darüber hinaus nahe, dass man nach Rückzug der Kampftruppen eigentlich den sofortigen Zusammenbruch erwartet – wodurch eigentlich die Forderungen bezüglich ein „entwicklungspolitisches Programm“ bzw. „Stärkung der Frauenrechte“ zur Makulatur machen würde, auch die „zivilen Mittel“ könnte man dann anders ausgehen.

Bewusst ist den Grünen diese Problematik schon, zumal gerade diese BAG und die mit ihr eng verknüpfte BAG Nord/Süd viele Mitglieder haben, die beruflich in der internationalen Friedens- und Entwicklungsarbeit tätig sind. Eine von ihnen, eher eine linke, die in Afghanistan für die United Nations Development Program (UNDP) arbeitet, meint, das seit 2006 notierte Dilemma, dass die Aufbauarbeit auch militärisch geschützt werden muss, sei noch keineswegs aus der Welt. Ihr Trakt ist, wie die von anderen Entwicklungshelfern, von nepalesischen Gurkhas gesichert. Doch bei einem Angriff Ende Mai auf ein Anwesen von Entwicklungshelfern, der wohl v.a. dem gerüchteweise dahinterliegenden CIA-Gebäude galt, konnten die Afghanen erst nach fünf Stunden und mit Hilfe norwegischer Elitesoldaten die Situation unter Kontrolle bringen und eine schwer verletzte italienische Entwicklungshelferin retten. Auch fanden in diesem Jahr Angriffe auf den Präsidentenpalast und den Kabuler Flughafen statt, die zwar extrem scharf geschützt waren – aber eben von afghanischen Soldaten.

„Wenn die afghanischen Sicherheitskräfte solche Angriffe auf wichtige Ziele nicht im Vorhinein verhindern können, dann ist es klar, dass der Ausbildungsauftrag weiterlaufen muss. Und wenn sie nicht alleine mit ein paar Taliban-Leuten fertig werden, dann muss vielleicht doch eine internationale Truppe mit Kampfauftrag bleiben. Andererseits sind von diesen internationalen Truppen aber auch Kriegsverbrechen verübt worden. Wie könnte also ein Kampfauftrag aussehen, damit er das Vertrauen der Afghanen nicht weiter zerstört, sondern wirklich zum Wiederaufbau beiträgt?“

Die Frage stellt sich die Partei schon seit dem Einmarsch am Hindukusch. Eine ihrer Konkurrentinnen im aktuellen Wahlkampf geht eben dieser Frage aus dem Weg, ist aber auch ständig mit ihr konfrontieret. Die Linkspartei fährt hier eine harte Linie: noch am 18. August[PH9]  sagte deren Fraktionschef Gregor Gysi in einem Fernsehinterview, „Unterstützung von Kriegseinsätzen“ sei ein Punkt, bei dem es mit ihr keine Kompromisse geben könne – was umso mehr wiegt, da die meisten innenpolitischen Gegensätzlichkeiten zwischen Rot/Grün und Knallrot auf ein kompromissfähiges Niveau zusammengeschmolzen zu sein scheinen. Dient also diese harte Formulierung – „Kriegseinsätze“ – dann dazu, eine rechnerisch wahrscheinliche rot-rot-grüne Mehrheit doch noch politisch zu torpedieren? Oder ist sie vielleicht – Gysi ist eben ein Schlitzohr – gedacht, um auf Grundlage der grünen Position feststellen zu können, dass diese Koalition, wenn schon, ja nur „Friedenseinsätze“ vorhat, bei denen man eben auch mitmachen kann? Man wird es sehen. Spätestens am Kabinettstisch wird sich auch die Linkspartei mit den gleichen Realitäten konfrontieren müssen, die die Grünen schon seit 20 Jahren kennen. Auch sie haben in den letzten Jahren immer wieder von Entwicklunghelfer/innen das gleiche gehört, wie die Grünen, nur gab es keinen Grund, deswegen auf seine Ideologie zu verzichten.


 [PH1]vom 9.7.2007

 [PH2]34. Ordentliche BDK, Hannover, 16.-18. Nov. 2012

Für eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte“, S. 1

http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Beschluesse/Aussenpolitik-Schutzverantwortung-Beschluss-BDK-11-2012.pdf

 [PH3]Ebenda, S. 6

 [PH4]UN-Charta, dt.http://www.unric.org/de/charta#kapitel6 bzw. 7

 [PH5]Bundestagsrede von Jürgen Trittin,  17.09.2008

Einzelplan Auswärtiges Amt

http://www.gruene-bundestag.de/parlament/bundestagsreden/2008/september/einzelplan-auswaertiges-amt-250044_ID_250044.html

 [PH6]34. Ordentliche BDK, a.a.O., S. 7

 [PH7]Christian Tomuschat, Uniting For Peace: General Assembly Resolution 377 (V) 2008

http://untreaty.un.org/cod/avl/ha/ufp/ufp.html

 [PH8]„Zeit für den Grünen Wandel“ Bundestagswahlprogramm 2013 von Bündnis 90/die Grünen,

 [PH9]ARD, Bericht aus Berlin