Wie Afghanistan
die Grünen verändert hat
Phil Hill, Berlin
August 2013
Januar 2013, in Berlin trifft sich die
Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationales von Bündnis90/Grüne. Die
BAGs vertreten die thematisch engagierte Basis der Partei, liefern Zuarbeit für
die Abgeordneten. Dreimal im Jahr versammeln sich die Delegierten, die die
Basis auf Landesebene vertreten, und beschließen Empfehlungen für die
Parteipolitik, oft als Anträge, die dann auf Parteitagen
(„Bundesdelegiertenkonferenzen“) abgestimmt werden, als Entschließungen,
programmatische Erklärungen, oder gar als Teile von Wahlprogrammen. Es ist eine
Sondersitzung und es geht um den Afghanistaneinsatz.
Beinahe 15 Jahre sind es her, da hat die Partei das hier
zuständige Ministerium übernommen – doch das Amt ging nicht an einem aus diesem
Kreis: Joschka Fischer hatte sich noch nie hierhin verirrt und tat es auch in
den nächsten sieben Jahren nicht, trotz gegenteiligen Versprechens. Denn diese
BAG war schon immer eine Hochburg seiner linken innerparteilichen Gegner
gewesen, deren Diskussionen im Vorfeld der siegreichen Wahl 1998 sich etwa um
die Forderung gedreht hatten, Deutschland müsse zum „Kriegsdienstverweigerer
unter den Völkern“ werden. Dann folgte schon als Fischers erste wichtige
Amtshandlung der Eingriff in den Kosovokrieg, was hier auf massiven
Wiederstand, auch mit vielen Austritten, stieß.
Doch einer, mitunter sein extremster Widersacher, blieb, bis
heute: Der Hamburger Ulli Cremer, Pazifist und Gegner jedweder militärischer
Handlung. Vor allem jeder deutschen. Jetzt, 2013, geht es um Afghanistan, um
die Position im Wahlkampf und Cremer will – wen wundert’s? – den sofortigen
Abzug, noch in diesem Jahr. Immerhin muss sich doch ein Pazifist deutlich vom
Verteidigungsminister unterscheiden und im nächsten Jahr, 2014, will auch
dieser Minister seine Jungs heimholen. Aber selbst der Einsatz bis 2014 braucht
eine neue jährliche Zustimmung des Bundestages. Sollen die Grünen wieder –
zumindest mehrheitlich – ihr „Ja“ geben?
Der Münsteraner (inzwischen ex-)MdB Winfried Nachtwei, angesehener Militärexperte der Partei, sieht
keinen Grund, jetzt plötzlich dagegen zu stimmen, gerade diese Mandatierung
beziehe sich doch im Wesentlichen auf die Aufbauhilfe. So begnügt sich die BAG
mit einem Abzug im Jahre 2014 – hoffentlich unter rot-grüner Regie. Diese
Empfehlung geht an den Bundesparteitag, und kommt schließlich auch ins
Wahlprogramm. Ulli Cremer hat nur ganz selten ein Erfolgserlebnis in dieser
Partei.
Zumal er gern gegen solche Windmühlen anreitet, nachdem die
eigentliche Schlacht längst verloren ist (man entschuldige gerade hier die
militaristische Metapher). Eigentlich geht es nicht darum, wann die meisten
Truppen abziehen, sondern darum, dass noch etliche bleiben werden, zur
Ausbildung der afghanischen Polizei und der Armee, sowie zum Schutz des
Aufbaus. Und da ist die Frage: Wie viele, wie lange und haben sie immer noch
u.U. einen Kampfauftrag? Klar, auch dieses Thema hat Cremer aufgeworfen. Doch
auch hier kann er nicht gewinnen: Denn er kann schlecht argumentieren, dass
z.B. einem friedenserhaltender Auftrag mit Segnung der Vereinten Nationen nicht
zuzustimmen sei. Wenn er aber etwa noch so harte Bedingungen für den Einsatz
durchsetzt, damit sie keinen „Kampfauftrag“ erhält, hat er immer noch keine
Rückkehr zur alten Verweigerungshaltung bewirkt, sondern lediglich den Rahmen
für die Interventionen der Zukunft mitdefiniert.
Denn inzwischen hat sich die grüne Außen- und
Sicherheitspolitik grundlegend geändert und weiterentwickelt. Im März 2006, ein
halbes Jahr nach Einnahme der Plätze auf der Oppositionsbank, hielten die
Grünen ihren Zukunftskongress in Berlin, um zu sehen, wie es weitergehen
sollte. Dazu gehörte das seit der Jahrtausendwende international diskutierte
Thema der „Schutzverantwortung“ (oft auch englisch „Responsibility
to Protect“ oder „R2P“
genannt), wobei etwa die Erfahrungen von
Bosnien, Kosovo und Ruanda eine wichtige Rolle spielten. Sollte die
Frage eines Eingriffs, etwa um ein Völkermord zu verhindern, wirklich nur im
Spannungsfeld von „Großmachtpolitik“ einerseits und „nationaler Souveränität“
andererseits geregelt werden? Oder hatte nicht die Weltgemeinschaft die
Verantwortung, Menschenleben gegen Gewalttäter, friedliche Gemeinschaften gegen
mörderische Tyrannen, zu schützen? Ersteres spiegelte den Begriff der
Weltordnung aus der Zeit des Kalten Krieges wieder – im Wesentlichen war dies
das vom Ostblock und den von ihnen in der 3. Welt unterstützten
Befreiungsbewegungen entwickelte Weltbild. Den Ostblock gab es aber längst
nicht mehr, und auch die Befreiungsbewegungen hatten als positives
Identifikationsbild ziemlich ausgedient. Damit war aber auch das gesamte
Paradigma eigentlich erledigt, denn hatte man vor der Wende für weder das Eine
noch die Anderen besonders große Leidenschaft gehegt, so hielt die bloße
Tatsache, dass es sie gab, die Gegensätzlichkeit aufrecht, in der die kapitalistischen
Industriestaaten das zu überwindende Böse darstellten. Und eben das war nun
vorbei.
Doch damit nicht genug: nun reklamierten diverse
Nachfolge-„Antiimperialisten“, etwa in Ruanda, im Sudan oder in ex-Jugoslawien,
das Recht, im Namen der „Befreiung“ unbehelligt Massenmorde zu begehen. Und
Linke im Westen – einschließlich der Grünen in Deutschland – taten sich
schwer, die stets als völkerrechtlichen
Schutzschild gegen die Großmächte verteidigte Souveränität fallen zu lassen.
Dennoch: Schleichend griff, in diesem wie in anderen Bereichen, eine neue Sicht
um sich, die die Weltordnung nicht ablehnte sonders anders wollte, man war z.B nicht „gegen“ die Globalisierung, sondern „für“ eine
andere, inhaltlich und nicht ideologisch definiert. Die am radikalen Rand
herumspringenden Antiimpis, für die Serbien auch
unter Milosevic noch heldenhaft und an vorderster Front gegen „Großdeutschland“
focht und die Taliban nur die Abwehr gegen die britischen Hindukusch-Armee
weiterführten, verschwanden immer mehr aus dem Blickfeld.
Die Grünen hatten zwar seit ihrem anderen Abzug, nämlich aus
der Regierungsverantwortung 2005, die eine oder andere Politik der
Schröder-Fischer-Regierung rechts liegen gelassen, in der Frage des
Afghanistan-Einsatzes fanden sie aber nie wieder zur „sofort-raus!“-Position
zurück. Nun, 2006, stand das zwar intern zur Debatte, gerade die parteinahe
Basis, nämlich die NGO-VertreterInnen, die am
Hindukusch die Aufbauarbeit leisten, waren es allerdings, die
unmissverständlich klarmachten: Wenn die Truppen sich zurückziehen, können wir
entweder in die letzte Maschine steigen, oder wir sind am nächsten Tag tot.
Da auch noch das deutsche Einsatzgebiet lange Zeit ruhiger
war und Aufbauerfolge zeigte – bzw. bei der Mohnernte sogar Abbauerfolge –, ließ
sich das immer wieder rechtfertigen: Man stimmte auch aus der Opposition heraus
für die Mandatsverlängerungen. So meinte etwa Jürgen Trittin in einem Schreiben
an den westfälischen Parteipromi Wilhelm Achelpöhler[PH1] :„Parallelen
zur sowjetischen Besatzungszeit, die mehr als 1 Million Afghanen und 15.000
sowjetischen Soldaten das Leben gekostet hat, sind ebenso fehl am Platze wie
Vergleiche mit der Situation im Irak.” Und ein Diskutant im BAG-Blog meinte, in
Richtung der Cremers und Achelpöhlers, sie forderten
Bedingungen für den Einsatz, „mit der Hoffnung, dass sie nicht erfüllt werden,
und wir dann, trotz allem und natürlich schweren Herzens, auf unsere eigentlich
gewünschte Position zurückkönnten, nämlich BW raus!“ Dann sei man wieder da, wo
der deutsche Pazifist sein wolle, „wie es im Gedicht von Matthias Claudius aus
der Zeit der Kabinettskriege zum Ausdruck kam: ‚Ist Krieg! Und ich begehre,
nicht schuld daran zu sein!‘ Mehr begehre ich nicht,
ich bin klein, mein Herz ist rein.“ Doch diese Kritik traf immer weniger zu.
Gerade die jüngeren, ohne Erinnerung an den antiimperialistischen Kämpfen der
70er Jahre, gingen nicht mehr mit, auch wenn radikale Positionen der Grünen
Jugend bisweilen andere Eindrücke vermittelten.
Nach der nächsten verlorenen Wahl 2009 lief die Diskussion
weiter, 2010 forderten die Linken, angesichts der deprimierenden Lage, erneut
den Abzug. BAG-Sprecher Felix Pahl versuchte die Wellen zu glätten: „Bliebe die
Frage, ob die NATO mit einer optimalen Strategie überhaupt noch einen positiven
Beitrag leisten könnte. … Was am stärksten dagegen spricht, ist die korrupte Karsai-Regierung und ihre sinkende Legitimität. Das
Argument, dass ISAF eine Bürgerkriegspartei auf der Seite der
Partikularinteressen der Regierung geworden ist, gewinnt an Gewicht … . Eine ‚Aufbauperspektive‘ müsste [u.a.] … dezentrale und
traditionale Governance-Strukturen nutzen und
Aufständische politisch einbinden. Dagegen sehe ich in Bezug auf die Akzeptanz
der internationalen Truppen keinen point of no return
überschritten. Da es selbst nach all den zivilen Opfern immer noch eine
erstaunlich verbreitete, wenn auch weiter sinkende, Akzeptanz gibt, denke ich
eher, dass diese auch wieder steigen würde, wenn der respektvolle Umgang mit
der Bevölkerung, … tatsächlich umgesetzt werden würde.“ Ob und wie man die
(Nicht-)Erfüllung solcher Bedingungen prüfen könne und was dann die
Konsequenzen wären, blieb und bleibt die unbeantwortbare Frage.
2012 fanden dann – auch, aber nicht nur bei den Grünen –
umfangreiche Diskussionen zur Schutzverantwortung in außen- und
sicherheitspolitisch engagierten Kreisen statt. Mehrere BAG-Sitzungen trieben
die Diskussion voran, im Herbst wurde ein Entwurf für den Bundesparteitag
vorgelegt. Der Parteitag, der auch die Weichen für das Wahljahr setzen sollte,
tagte dann im November in Hannover und verabschiedete eine leicht modifizierte
Version davon, der bereits in der Einführung feststellt:
„BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bekennen sich … zu einer
Fortentwicklung des Völkerrechts im Sinne der Schutzverantwortung. … Der
Anwendungsbereich … beschränkt sich auf die vier Kernverbrechen Völkermord,
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische
Säuberungen, umfasst aber das gesamte Spektrum an Maßnahmen und Instrumenten,
das … zur Verfügung steht. Zu [ihr] gehört neben Prävention, Unterstützung und
Reaktion auch die … nachsorgende Verantwortung für die Friedenskonsolidierung. verkürzt[PH2] .“
Im Kapitel IV wurde es dann deutlich:
„Im Ausnahmefall kann die Schutzverantwortung zu
Militäreinsätzen führen, um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern
oder zu stoppen. Als Mitglied der Vereinten Nationen ist die Bundesrepublik
Deutschland grundsätzlich dazu verpflichtet, zur internationalen
Friedenssicherung beizutragen[PH3] .“
Von den knapp 800 Delegierten stimmte nur einer dagegen: Der
Hamburger UIli Cremer.
Was also bleibt damit von der alten linken
Verweigerungshaltung? Eigentlich nur ein einziger Punkt: Die Forderung, die
Schutzverantwortung sei im Rahmen der Vereinten Nationen auszuüben, womit
zumindest ansatzweise eine Art globale Rechtstaatlichkeit gewährt werden soll.
Doch auch hier war die Position eine deutliche Weiterentwicklung vor der der
„wilden 90er“, als linke Grüne noch knallhart zwischen „Kapitel VI“- und
„Kapitel VII“-Einsätzen[PH4]
unterschieden hatten, zwischen gerade noch akzeptablen „friedenserhaltenden“
und grundsätzlich abzulehnenden „friedenserzwingenden“ Maßnahmen also.
Jetzt geht es den Grünen darum, die VN als globale
rechtliche Instanz zu stärken, notfalls auch über durch ihnen legitimierten
Einsätzen und die Rolle etwa der NATO bei Einsätzen zurückzudrängen. Schon 2008
erwiderte Jürgen Trittin in einer Bundestagsdebatte auf die Linkspartei, die behaupteten, noch als einzige das Völkerrecht
aufrechtzuerhalten, „Ich glaube, über Afghanistan werden wir noch viele
Debatten führen. … In Pakistan bauen die USA jene Strategie aus, die in
Afghanistan spektakulär gescheitert ist. Das ist das Problem. … Es handelt
sich, liebe Völkerrechtspartei, um einen durch die Vereinten Nationen
mandatierten Einsatz der NATO. Ein NATO-Mitglied wiederholt in Pakistan alle
Fehler, die es im Vietnamkrieg schon einmal gemacht hat, und Sie sagen: Das
geht uns nichts an. … Ich sage: Das geht uns sehr viel an.“[PH5]
Zwar argumentieren viele in völliger Unkenntnis der kaum vorhandenen
militärischen Strukturen der VN, die dazu führen dass die Weltorganisation
insbesondere bei „robusten“ militärischen Einsätzen auf die bestehenden Armeen
angewiesen ist. Trotzdem ist diese Forderung nicht nur (aber sehr wohl auch)
eine ideologische, die die „guten“ VN der „bösen“ NATO gegenüberstellt. Denn
man lebt auch in der Praxis, dort geht es um Einsatztaktiken v.a. der USA, die
immer nur aus 5 km Höhe bomben und so alles Mögliche treffen, die mit
Kampfdrohnen ganze Dörfer auslöschen und die, wie das berüchtigte von Wikileaks veröffentlichte Video zeigte, bei Verdacht erst
mal alle Leute erschießen, die man sehen kann und sie dann nachher in Gute und
Böse sortiert. Auch andere haben natürlich Dreck am Stecken, aber der berühmte
Fall des deutschen Angriffs auf einen gekaperten Tanklaster blieb, soviel wir
wissen, ein deutscher Einzelfall.
Daher geht das grüne Schutzverantwortungskonzept weiter und
fordert eine Weiterentwicklung des Völkerrechts hin zur Stärkung der VN-Vollversammlung, ggf. auch durch eine Art Aufstand gegen das
Diktat der Veto-Mächte:
„[E]in Nichthandeln aufgrund einer Blockade der
Sicherheitsratsresolution [kann] das Völkerrecht und die Vereinten Nationen
ebenso massiv beschädigen wie das Eingreifen ohne ein Mandat.“ Um das zu
verhindern sollte die Generalversammlung „das Recht beanspruchen, … mit
qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären und an
seiner Stelle friedenserzwingende Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta zu beschließen[PH6] .“
Immerhin sei der Vorschlag nicht einfach ein grünes Hirngespinst, sondern
entspräche einem Vorschlag Brasiliens, auch gäbe es in der „Uniting
For Peace“-Resolution 377
von 1950 einen Präzedenzfall[PH7] .
Damals hatte die Sowjetunion versucht, die VN-Unterstützung
für Südkorea durch die USA im Koreakrieg durch Abwesenheit vom Sicherheitsrat
zu blockieren, da der Wortlaut der VN-Charta nahelegte, dass eine
Einstimmigkeit aller ständigen Mitglieder notwendig sei, um Einsätze zu
verhindern; das internationale Gericht urteilte allerdings, eine Abwesenheit
mit der Absicht, das Gremium zu blockieren, habe keine Wirkung. Als der
sowjetische Delegierte dann zurückkehrte, und versuchte, weitere Resolutionen
durch Veto zu blockieren, erfanden die damals von den USA dominierte VN die
„Sondersitzung“ der Vollversammlung, die mit einer qualifizierten Mehrheit
anstelle des Sicherheitsrates tätig werden könne. Als dann 1956 gleichzeitig
zwei solche Sondersitzungen beantragt wurden, einmal gegen eine britisch-französische
Blockade in der Suezkrise und einmal gegen eine der Sowjets wegen ihres
Vorgehens in Ungarn, merkten beide Seiten, wie bedrohlich diese
Umgehungsmöglichkeit ihres Vetorechtes doch war und sie verschwand in der
Versenkung. Doch der Präzedenzfall ist da: ganz so allmächtig wie immer
vermutet ist das Vetorecht im Sicherheitsrat nicht.
Auch im Wahlprogramm für die anstehende Bundestagswahl
spiegeln sich diese Entwicklungen wieder. Der Bundesvorstand wollte dabei wohl
eher den Ball flach halten und lediglich verkünden, „Wir wollen den Abzug der
Kampftruppen aus Afghanistan bis 2014. Da die Konflikte in Afghanistan nicht
militärisch zu lösen sind, wollen wir alles unternehmen, um über Verhandlungen
und Gespräche eine Entschärfung zu erreichen.“ Außerdem wurde weitere
Entwicklungshilfe in Aussicht gestellt.
Wie auch beim Thema Nahost-Frieden wollte es die BAG Frieden
dann doch etwas genauer buchstabieren und bewirkte letztlich einen Text, der
feststellt: „Der NATO-Einsatz im Rahmen von ISAF in Afghanistan wird 2014
abgeschlossen. Sollte die afghanische Regierung eine weitere Truppenpräsenz zur
Überwachung eines Waffenstillstandes oder als Ausbildungsmission wünschen, muss
dafür eine neue Rechtsgrundlage durch die VN geschaffen werden. Sie ist als peace-building mission zu
mandatieren und soll als direkt geführte VN-Mission erfolgen – ohne
Kampfauftrag und Aufstandsbekämpfung. Rechtzeitig vor dem Abzug der Bundeswehr
wollen wir vor Ort ein Aufnahmeprogramm für Ortskräfte der Bundeswehr und
deutscher Entwicklungsorganisationen einschließlich ihrer Familien durchführen.
Denjenigen, die dies wünschen, muss also die Möglichkeit einer Aufnahme in
Deutschland gewährt werden. Auch für Menschen, die in ihrem Leben oder in ihrer
Gesundheit spätestens dann bedroht sind, wenn das Militär abzieht und die Macht
neu verteilt wird, muss es eine Möglichkeit des Asyls geben. Von der Bundeswehr
zu verantwortende zivile Opfer und ihre Angehörigen sind großzügig und
unbürokratisch zu entschädigen. Da die Konflikte in Afghanistan nicht
militärisch zu lösen sind, wollen wir alles unternehmen, um über Verhandlungen
und Gespräche einen Aussöhnungsprozess zu beginnen. Und nur durch ein
umfassendes und glaubwürdig finanziertes zivilgesellschaftliches und
entwicklungspolitisches Programm, das die Stärkung der Frauenrechte im Blick
hat, können wir den Wiederaufbau des Landes sicherstellen. Daher wollen wir die
zivilen Mittel für Afghanistan mindestens im bisher erreichten Umfang aufrechterhalten[PH8] .“
Jede weitere Präsenz müsste also „ohne Kampfauftrag“ von der
VN mandatiert sein, die Forderungen für Asyl für Mitarbeiter/innen legt darüber
hinaus nahe, dass man nach Rückzug der Kampftruppen eigentlich den sofortigen
Zusammenbruch erwartet – wodurch eigentlich die Forderungen bezüglich ein „entwicklungspolitisches
Programm“ bzw. „Stärkung der Frauenrechte“ zur Makulatur machen würde, auch die
„zivilen Mittel“ könnte man dann anders ausgehen.
Bewusst ist den Grünen diese Problematik schon, zumal gerade
diese BAG und die mit ihr eng verknüpfte BAG Nord/Süd viele Mitglieder haben,
die beruflich in der internationalen Friedens- und Entwicklungsarbeit tätig
sind. Eine von ihnen, eher eine linke, die in Afghanistan für die United Nations Development Program
(UNDP) arbeitet, meint, das seit 2006 notierte Dilemma, dass die Aufbauarbeit
auch militärisch geschützt werden muss, sei noch keineswegs aus der Welt. Ihr
Trakt ist, wie die von anderen Entwicklungshelfern, von nepalesischen Gurkhas
gesichert. Doch bei einem Angriff Ende Mai auf ein Anwesen von Entwicklungshelfern,
der wohl v.a. dem gerüchteweise dahinterliegenden CIA-Gebäude galt, konnten die
Afghanen erst nach fünf Stunden und mit Hilfe norwegischer Elitesoldaten die
Situation unter Kontrolle bringen und eine schwer verletzte italienische Entwicklungshelferin
retten. Auch fanden in diesem Jahr Angriffe auf den Präsidentenpalast und den
Kabuler Flughafen statt, die zwar extrem scharf geschützt waren – aber eben von
afghanischen Soldaten.
„Wenn die afghanischen Sicherheitskräfte solche Angriffe auf
wichtige Ziele nicht im Vorhinein verhindern können, dann ist es klar, dass der
Ausbildungsauftrag weiterlaufen muss. Und wenn sie nicht alleine mit ein paar
Taliban-Leuten fertig werden, dann muss vielleicht doch eine internationale
Truppe mit Kampfauftrag bleiben. Andererseits sind von diesen internationalen
Truppen aber auch Kriegsverbrechen verübt worden. Wie könnte also ein
Kampfauftrag aussehen, damit er das Vertrauen der Afghanen nicht weiter
zerstört, sondern wirklich zum Wiederaufbau beiträgt?“
Die Frage stellt sich die Partei schon seit dem Einmarsch am Hindukusch. Eine ihrer Konkurrentinnen im aktuellen Wahlkampf geht eben dieser Frage aus dem Weg, ist aber auch ständig mit ihr konfrontieret. Die Linkspartei fährt hier eine harte Linie: noch am 18. August[PH9] sagte deren Fraktionschef Gregor Gysi in einem Fernsehinterview, „Unterstützung von Kriegseinsätzen“ sei ein Punkt, bei dem es mit ihr keine Kompromisse geben könne – was umso mehr wiegt, da die meisten innenpolitischen Gegensätzlichkeiten zwischen Rot/Grün und Knallrot auf ein kompromissfähiges Niveau zusammengeschmolzen zu sein scheinen. Dient also diese harte Formulierung – „Kriegseinsätze“ – dann dazu, eine rechnerisch wahrscheinliche rot-rot-grüne Mehrheit doch noch politisch zu torpedieren? Oder ist sie vielleicht – Gysi ist eben ein Schlitzohr – gedacht, um auf Grundlage der grünen Position feststellen zu können, dass diese Koalition, wenn schon, ja nur „Friedenseinsätze“ vorhat, bei denen man eben auch mitmachen kann? Man wird es sehen. Spätestens am Kabinettstisch wird sich auch die Linkspartei mit den gleichen Realitäten konfrontieren müssen, die die Grünen schon seit 20 Jahren kennen. Auch sie haben in den letzten Jahren immer wieder von Entwicklunghelfer/innen das gleiche gehört, wie die Grünen, nur gab es keinen Grund, deswegen auf seine Ideologie zu verzichten.
[PH1]vom 9.7.2007
[PH2]34. Ordentliche BDK, Hannover, 16.-18. Nov. 2012
„Für eine Verantwortung zum Schutz
der Menschenrechte“, S. 1
http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Beschluesse/Aussenpolitik-Schutzverantwortung-Beschluss-BDK-11-2012.pdf
[PH3]Ebenda, S. 6
[PH4]UN-Charta, dt.http://www.unric.org/de/charta#kapitel6
bzw. 7
[PH5]Bundestagsrede von Jürgen Trittin, 17.09.2008
Einzelplan Auswärtiges Amt
http://www.gruene-bundestag.de/parlament/bundestagsreden/2008/september/einzelplan-auswaertiges-amt-250044_ID_250044.html
[PH6]34. Ordentliche BDK, a.a.O., S. 7
[PH7]Christian Tomuschat, Uniting For Peace:
General Assembly Resolution 377 (V) 2008
http://untreaty.un.org/cod/avl/ha/ufp/ufp.html
[PH8]„Zeit für den Grünen Wandel“ Bundestagswahlprogramm 2013 von Bündnis
90/die Grünen,
[PH9]ARD, Bericht aus Berlin